EM-Außenseiter Georgien: Fußball, als gäbe es kein Morgen

Georgien hat mit mutigem Angriffsfußball auch vielen neutralen Fans Freude bereitet. Vor dem Spiel gegen Portugal überwiegt der Stolz aufs Erreichte.

Ein georgischer Spieler setzt sich im Zweikampf durch

Zwischen wild und intensiv: Außenseiter Georgien, hier Otar Kakabadze gegen David Jurásek Foto: Sina Schuldt/dpa

Dürfte man nur ein einziges Wort verwenden, um den Fußball des größten Außenseiters bei dieser Europameisterschaft zu beschreiben, die meisten würden wohl zwischen den Wörtern „intensiv“ und „wild“ schwanken. Das georgische Team spielt, als gäbe es kein Morgen. Von den kleinen Nationen konnte nur die schottische Mannschaft ähnlich viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Das lag aber eher an den Fans, die tranken, als gäbe es kein Morgen. Fußballerische Argumente sollen an dieser Stelle mehr zählen.

Nur: dieser mitreißende Stil kostet Kräfte. Weshalb es bei aller Liebe vor der Partie gegen den stärksten Gruppengegner Portugal schwerfällt zu glauben, es könnte danach noch ein Morgen für die Fußballer aus dem Kaukasus bei diesem Turnier geben. Trainer Willy Sagnol wollte dennoch nur eines ausschließen: „Ich liebe Georgien, aber wenn man Georgien ist, kann man nicht die EM gewinnen.“ Für die Partie gegen Portugal kündigte er hingegen an, man werde mit dem Ehrgeiz, „etwas Gutes zu schaffen“, auftreten und dafür am Ende vielleicht belohnt werden.

Und Georgiens Torhüter Giorgi Mamardashvili ließ nach dem Remis gegen Tschechien kämpferisch wissen: „Ein Punkt ist auch gut, denn wir können immer noch weiterkommen.“ Ängstlichkeit vor großen Gegnern ist das Letzte, was dem Team von Sagnol vorgehalten werden könnte, obwohl dessen Kader vor dem Turnier nur einen großen Namen zu bieten schien. Alle sprachen lediglich von Khvicha Kvaratskhelia, der sich beim SSC Neapel zu einem Spitzenfußballer entwickelt hat.

Nach den Partien gegen die Türkei und Tschechien rückten jedoch andere in den Gesprächsmittelpunkt. Allen voran Mamardashvili, der mit seinen fantastischen Paraden hauptverantwortlich dafür war, dass Georgien gegen Tschechien den ersten Punkt in seiner EM-Historie erzielen konnte. Sagnol hatte ihn bereits vor Wochen zu den 15 besten Torhütern Europas gezählt. Beim FC Bayern war der erst 23-Jährige bereits im Gespräch. Sein fehlender Bekanntheitsgrad ließ die Münchner vermutlich zu lange zögern. Der FC Valencia erfreut sich seiner Dienste.

Nicht nur das Remis retten

Der Mittelfeldmann Giorgi Kotschoraschwili hat sich mit seiner Umtriebigkeit und Übersicht ebenfalls in die Gedächtnisse vieler Fußballfans eingetragen. Ihm ist es obendrein gelungen, die Mentalität seines Teams zu veranschaulichen. „Wir wissen, dass alle Mannschaften gegen uns Angriffsfußball spielen, aber wir werden ebenfalls Angriffsfußball spielen.“ Was die anderen können, können wir auch, heißt die simple Devise.

Ein Georgier stand vergangenen Samstag in Hamburg in besonderem Rampenlicht. Saba Lobjanidze kam in der Nachspielzeit bei einem Konter frei vor dem tschechischen Torhüter zum Schuss, eben weil der große Außenseiter trotz aller Unterlegenheit in dieser Partie nicht nur das Remis retten wollte. Bei allen Schwierigkeiten, die sein Team bis dahin bewältigt hatte, schien es die leichteste Übung, diese Chance auf die fast sichere Qualifikation fürs Achtelfinale zu nutzen. Doch Lobjanidze kickte den Ball über die Latte.

Mehr war möglich

Übelgenommen hat ihm das freilich keiner. Er solle trotzdem stolz auf den Punkt sein, empfahl ihm Torhüter Mamardashvili. Und Sagnol erzählte, ihm Folgendes mit auf den Weg gegeben zu haben: „Diejenigen, die es nie probieren, können niemals vergeben. Deshalb ist es der beste Weg, es immer wieder zu versuchen.“ Das ist es auch, was Sagnol seinem ganzen Team ans Herz legt und es wahrscheinlich so unbändig und wild erscheinen lässt. Es wird gegen jegliche Wahrscheinlichkeit immer alles versucht.

Bei beiden EM-Spielen war für Georgien letztlich mehr möglich, als ihnen das Endresultat einbrachte. Beide Male überwog die Freude über das Erreichte und des bloßen Dabeiseins die Enttäuschung, etwas verpasst zu haben. Diese Perspektive auf den Sport, die sich meist nur Außenseiter leisten können, geht ans Herz aller Fußballfans.

So schwebt über jedem georgischen Spiel bei dieser EM die Wehmut und Ahnung des baldigen Abschiednehmenmüssens. Sagnols Spielrückblicke haben stets die baldige Heimkehr im Blick. Mehrfach hat er erklärt, wie stolz er bereits auf das Gezeigte ist, weil er wüsste, wo das georgische Team in den Jahren zuvor gestanden hätte.

Nach der Begegnung in Hamburg betonte er: „Wir sind hierher gekommen, wohl wissend, dass unser Hauptziel seine würde, Erfahrung zu sammeln.“ Punkte sind also selbst im entscheidenden Spiel gegen Portugal eigentlich zweitrangig. Es wird gewiss eine intensive Partie, an deren Ende wieder viel von Stolz die Rede sein wird. Es hat jedenfalls Spaß gemacht, den Georgiern beim Fußballspielen zuzuschauen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.