Soziale Infrastruktur am Mehringpkatz: Wenn die Zukunft wegbröckelt

Dem Jugend- und Stadtteilzentrum am Mehringplatz droht wegen Baufälligkeit die Schließung. Für den armen Kiez wäre das eine Katastrophe.

Ein Flachdach mit Regenpfütze

Undichtes Dach – unsichere Zukunft am Mehringplatz Foto: Sebastian Wells

BERLIN taz | Der Mehringplatz am südlichen Ende der Friedrichstraße in Kreuzberg gilt als eines der ärmsten Gebiete der Stadt. In der Großwohnsiedlung am Halleschen Tor leben besonders viele Menschen, die Sozialleistungen beziehen und sich – nicht erst nach dem Auszug des letzten Supermarktes vor einem Jahr – von der Politik im Stich gelassen fühlen. Die massiven sozialen Probleme zeigen sich auch im Straßenbild. Viele Geschäftsräume stehen leer, Müllberge sammeln sich in den Hausdurchgängen, Junkies sitzen auf Parkbänken.

Besonders für Kinder und Jugendliche ist die Situation dramatisch. Hier kommen materielle Armut der Elternhäuser und Bildungsarmut zusammen. Die Einschulungsergebnisse sind die schlechtesten bezirksweit. Viele Wohnungen sind überbelegt, Jugendliche gezwungen, ihren Alltag ausschließlich außerhalb der beengen Wohnverhältnisse zu verbringen. Die Folgen davon benennt der Quartiersrat Mehringplatz nun in einem offenen Brief, der der taz vorliegt. „Es grassieren Jugend- und Drogenkriminalität, Vandalismus sowie gewalttätige Auseinandersetzungen. Kaum ein Tag vergeht mehr ohne Polizeieinsatz, bei den An­woh­ne­r:in­nen wächst die Angst.“

Eine Anlaufstelle, die dafür sorgen will, den jungen Menschen eine Perspektive zu geben, ist das Kinder-, Jugend- und Kulturzentrum KM Antenne in der Friedrichstraße 2–3, Jugendclub und Musikschule in einem. Etwa 300 Kinder und Jugendliche nutzen die Einrichtung täglich, kriegen Mittagessen, spielen, tanzen, rappen, machen Sport. Alles kostenlos. Offene Kinder- und Jugendarbeit, die „den Kiez zusammenhalten soll“, wie deren Mitarbeiterin Mareike Stanze bei einem Besuch vor Ort erzählt. Der Bedarf sei nach Corona und durch die Inflation noch einmal „deutlich gestiegen“. An der Fassade hängt ein großes Plakat: „Wann wird Jugendarbeit ausfinanziert?“

Doch was die ebenso fröhliche wie resolute Frau auch sagt: „Das Haus steht kurz vor der Schließung. Wenn nichts gemacht wird, ist die Bude nächstens dicht.“ Neben ihr steht Matthias Klockenbusch vom Union Hilfswerk, der zusammen mit weiteren sozialen Trägern und Vereinen den anderen Teil des Hauses bespielt. Das F1, Friedrichstraße 1, ist ein Stadtteilzentrum mit Kantine, in der täglich Hunderte Mahlzeiten ausgegeben werden, Begegnungstreff, Garten und Beratungsangeboten. In einem Raum in der ersten Etage sitzen an diesem Dienstagmittag etwa 20 Frauen, viele mit Kopftuch, bei ihrem wöchentlichen Frauentreff.

Es regnet rein

Das ehemalige Kindergartengebäude erstreckt sich in einem Teil auf zwei, im anderen auf drei Etagen. 3.500 Quadratmeter als Zentrum eines abgehängten Kiezes. Doch das Haus ist in einem bemitleidenswerten Zustand. Draußen bröckelt die Fassade, drinnen gibt es gesperrte Toiletten, Räume mit Wasserschäden, teilweise Schimmel. „Rohre, Elektrizität, Brandschutz – alles muss gemacht werden“, sagt Klockenbusch.

Die großen, eigentlich begehbaren Flachdächer sind für Be­su­che­r:in­nen geschlossen und undicht. „Wenn es regnet, stehen hier im Flur überall Eimer“, sagt Stanze. Aufgrund mangelhaften Brandschutzes dürfen sich nur noch sieben Personen gleichzeitig in der obersten Etage des Jugendclubs aufhalten.

Dem Bezirk, dem das Haus gehört, ist die Situation bekannt, seit Langem, doch genauso lange ist nichts passiert. Inzwischen beläuft sich der Bedarf für eine umfassende Sanierung auf 22 Millionen Euro, weit mehr, als Friedrichshain-.Kreuzberg alleine stemmen könnte. Damit die so notwendige Arbeit weitergehen kann, soll zeitnah das Nötigste instandgesetzt werden, Bauplanunterlagen lägen vor. Der Bedarf dafür: 1,5 Millionen Euro. Ein Drittel davon hat der Bezirk zusammen, erzählt Stanze, wo der Rest herkommen soll, ist unklar. Die ausgerufene Sparrunde des Senats verstärkt bei ihr die Sorgen, dass es nicht gelingt.

Bezirk verschiebt Beginn der Arbeiten

Ein Rückschlag kam noch am Dienstag: Der Bezirk teilte in einer Mail mit, „dass der geplante Baubeginn am 30. 9. 2024 nicht mehr eingehalten werden kann, weil die Bauplanungsunterlage noch nicht abschließend geprüft und bestätigt ist“. Baubeginn soll nun Anfang des nächsten Jahres sein – wenn sich denn Geld findet: „Allerdings ist auch diese Planung weiterhin als vorläufig zu betrachten, da die Finanzierung erst zum Teil gesichert ist.“ Der offene Brief hatte dagegen gerade noch gefordert: „Kein Aufschieben mehr! Sofortige Einleitung der Sanierungsmaßnahmen, bevor noch ein größerer Schaden entsteht – am Gebäude und in der sozialen Struktur des Gebiets!“

Tatsächlich sind die Probleme viel größer als das Haus. Laut Stanze verliere die benachbarte Galilei-Grundschule aufgrund eines englischsprachigen Zweigs, der Kinder aus ganz Berlin anziehe, bald ihre Förderung des Startchancenprogramms, da dadurch die Quote der Kinder aus dem Kiez mit besonderen Bedarfen sinke. Eine weitere Grundschule werde seit 14 Jahren saniert. Durch Neubauprojekte kommen zukünftig wohl noch weitere Tausende neue Be­woh­ne­r:in­nen in dem dicht besiedelten Gebiet hinzu. Stanze sagt: „Wenn man sämtliche öffentliche Einrichtungen derart verfallen lässt, hat man ein ernsthaftes Problem.“

Wie das aussehen kann, zeigte sich vor zwei Wochen bei einer Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen und dem Besitzer des Fahrradladens gegenüber der Sozialeinrichtung. Die Kids hätten wohl einfach aus Langeweile mit einem Ball gegen die Scheiben der Geschäfte geschossen, erzählt der Ladenbesitzer. Als die Lage eskaliert und die Polizei anrückt, verschwinden die meisten.

Einige bleiben vor Ort, darunter Ibo. Er selbst bezeichnet sich als der „Anwalt“ seiner Gang, gibt Tipps im Umgang mit der Polizei und rät von aggressivem Verhalten ab. Das erzeuge nämlich noch mehr Verdacht. „Ganz ehrlich, wir machen all diesen Blödsinn nicht, weil uns nur langweilig ist. Wir wollen natürlich provozieren. Wir wollen Aufmerksamkeit und wir wollen, dass sich auch hier was endlich verändert. Kein Jugendclub bedeutet für uns, auf der Straße oder eben auf dem Platz abhängen“, sagt Ibo.

Einen Lichtblick für das Viertel gibt es aber doch. Gegenüber des geschlossenen Edeka haben die Arbeiten in einem leerstehenden Geschäft begonnen. Bald soll hier ein türkischer Supermarkt eröffnen.

Mitarbeit: Derya Türkmen

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