Stichwahlen in Thüringen: Politische Zerrissenheit in Gera

Die AfD und andere Rechtsextreme haben in Thüringen an Macht gewonnen. In Gera zeigt sich das auch im Wahlkampf – obwohl sie gar nicht antreten.

Eine Person betritt ein Wahllokal.

Julian Vonarb (parteilos), Oberbürgermeister von Gera, kommt zur Stimmabgabe in das Wahllokal Foto: Heiko Rebsch/dpa

BERLIN taz | In Gera haben es weder Neonazis noch die AfD in die Stichwahl um das Oberbürgermeisteramt geschafft. Dort treten am Sonntag nur noch der parteilose Amtsinhaber Julian Vonarb und der Kandidat der CDU, Kurt Dannenberg, an. Trotzdem geht es in der Stadt im Osten Thüringens hoch her: Gerüchte besagen, Dannenberg mache mit Rechtsextremen gemeinsame Sache.

Quelle für diese Gerüchte sind mehrere Videos; unter anderem eins, das den Neonazi Christian Klar zeigt. Er steht Ende Mai vor dem Theater, das Mikrofon im Anschlag, und brüllt seine üblichen Parolen. Seit Jahren hetzt er gegen die Coronapolitik und organisierte zuletzt Protest gegen eine geplante Asylunterkunft.

Dort hing die Reichsflagge und lief Musik, die das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen verherrlicht. Jahre zuvor war Klar beim Pegida-Ableger Thügida und lief als Jugendlicher schon beim Thüringer Heimatschutz mit, der Brutstätte des NSU-Komplexes.

Hinter Klar ist im Video ein großes Plakat am Theater zu sehen: „Nie wieder ist jetzt“. Den Neonazi interessiert das nicht. Vor Klar stehen mehr als hundert Menschen, die zu seiner Hetze applaudieren. Einige filmen ihn, während er aufruft, nach der Stichwahl vor das Haus von Julian Vonarb zu ziehen und ihn aus der Stadt zu jagen. Und dann ruft er dazu auf, den CDU-Kandidaten zu wählen: Dannenberg.

Mittlerweile berichteten mehrere Medien darüber. Die regionale Ostthüringer Zeitung titelte, es sei eine „Schlammschlacht“. Einige Kri­ti­ke­r:in­nen Dannenbergs zeigen sich besorgt: Die AfD bildet die stärkste Fraktion im Stadtrat. Was, wenn Dannenberg tatsächlich mit ihr zusammenarbeitet? Anders als Amtsinhaber Vonarb hielt er bei einer Podiumsdiskussion nicht dagegen, wenn Rechtsextreme über Mi­gran­t:in­nen herzogen, berichteten mehrere, die dabei waren, der taz.

Auch AfD für Dannenberg

Der CDU-Politiker Dannenberg bekam im ersten Wahlgang 33,2 Prozent der Stimmen und lag damit knapp vor dem Oberbürgermeister Vonarb, 32,3 Prozent. Der Amtsbonus half offenbar nicht. Wobei auch Kurt Dannenberg schon seit zehn Jahren in Geras Verwaltung als Dezernent für Sicherheit und Finanzen im Amt ist. Wie hoch seine Chancen auf einen Sieg am Sonntag stehen, könne er nicht einschätzen, sagt er der taz. „Die Frage ist, ob die Nichtwähler dann ihre Stimme abgeben und ob die Wähler es weiterhin tun.“

Der CDU trat er 2017 bei. „Ich stehe für den Erhalt von Werten und in der CDU habe ich mich am meisten zu Hause gefühlt“, erzählt der ehemalige Bundeswehroffizier. Im Geraer Wahlkampf versprach er, die Digitalisierung der Verwaltung voranzutreiben, sofort Bezahlkarten für Geflüchtete auszuteilen und die Sicherheit in der Stadt zu erhöhen.

Eine Person bei der Stimmabgabe an einer Wahlurne.

Kurt Dannenberg (CDU) bei der ersten Wahlrunde um das Oberbürgermeisteramt in Gera Foto: Heiko Rebsch/dpa

Er unterstützt namentlich die Initiative „Weltoffenes Thüringen“. Gerade unter den politisch schwierigen Verhältnissen im Freistaat, mit einer Minderheitsregierung im Landtag und einer starken AfD auf kommunaler Ebene, „ist es wichtig, zu bekennen, wo man steht“, sagt Dannenberg.

Das führte der CDU-Politiker auch in einer Distanzierung von Klars Aufruf an, Po­li­ti­ke­r:in­nen zu jagen, die er drei Tage später veröffentlichte. Allerdings heizte er die Gerüchte weiter an: Neonazi Klar hatte die Distanzierung schon vor der Veröffentlichung in einem internen Chat angekündigt und als abgesprochene Schutzbehauptung bezeichnet. Sie solle „nicht ernst genommen werden“, sagt er in der öffentlich gewordenen Sprachnachricht.

Dannenberg entgegnet auf Nachfrage der taz, das stimme nicht. „Es gab und gibt keinerlei Absprachen mit Christian Klar.“ Er glaube, Klar habe Wind von der Distanzierung bekommen und das genutzt. „Ich hatte vorher mehreren Leuten gesagt, ich werde mich im Laufe der Woche positionieren“, erklärt der CDU-Politiker.

In einer weiteren öffentlich gewordenen Nachricht ärgert sich Klar jedoch, dass seine Sprachnachricht die interne Chatgruppe verlassen hat. Außerdem heißt es, Klar habe was gegen Dannenberg in der Hand. Das glaube Dannenberg wiederum nicht.

Mittlerweile hat laut Medienberichten auch der AfD-Kandidat Wieland Altenkirch dazu aufgerufen, Kurt Dannenberg die Stimme zu geben. Obwohl die Rechtsextremen es selbst nicht in die Stichwahl geschafft haben, mischen sie bei der Wahl immer noch mit – nicht nur in Gera. Dass die AfD in Thüringen kein politisches Amt im ersten Anlauf holen konnte, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie an Stärke gewonnen hat.

Stärkste Fraktion im Stadtrat

In acht Kreistagen und im Stadtrat Gera stellt die AfD nun die stärkste Fraktion. In vielen anderen ist sie die zweitstärkste. Die sogenannten Kommunalparlamente erlassen zwar keine Gesetze, können in vielen Fragen aber Beschlüsse verabschieden und entscheiden, was mit Geld passiert und was nicht.

Das betreffe auch die marginalisierten Gruppen, warnt etwa Franz Zobel von der Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt in Thüringen. Es gehe auch darum, wie Kommunen Geflüchtete unterbringen, oder um die Finanzierung von Demokratieprojekten. „Die AfD konnte da ihren Einfluss in der Fläche enorm ausbauen.“

Ein Beispiel dafür ist Sonneberg. Dort gewann im vergangenen Jahr der AfD-Politiker Robert Sesselmann die Landratswahl. Danach scheiterte er mit dem Versuch, Demokratiefördergesetze abzubauen, am Kreistag. Bei der Wahl legte die AfD dort um 10 Prozent zu und bekam 34,7 Prozent. Sie hat zwar immer noch keine eigene Mehrheit, aber etwa die Wählerinitiative Pro Sonneberg, aus dem Stand 13,5 Prozent, schließt grundsätzlich keine Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen aus.

Zobel befürchtet, dass sich die Zusammenarbeit mit der AfD normalisiere. „In der CDU werden Stimmen laut, die beklagen, es gäbe keinen politischen Spielraum. Oder sie berufen sich auf vermeintliche Sachpolitik.“

Außerdem berichten Kreistagsmitglieder und Stadträte anderer Parteien der taz, die AfD mache dort nichts außer Lärm. Das behindere die Stadtentwicklung und vergifte die Debattenkultur.

Anschlag auf die MLPD

Den größten Stimmanteil in Kreistagen oder Stadträten bekam die AfD in Gera: 35,1 Prozent. Sie stellte in der Stadt schon vorher die stärkste Fraktion und konnte um 6 Prozent zulegen. Neonazis wie Christian Klar fühlen sich dadurch bestärkt, wie er vor dem Theater in sein Mikrofon ruft. Energisch zieht er beleidigend über die her, die nicht in sein Weltbild passen, und bekommt von seinen An­hän­ge­r:in­nen Applaus.

Wie lange kann das gut gehen? Es gibt Hinweise darauf, dass die politische Debatte auch in Gera gefährlich werden kann, etwa einen Fall, in dem nun die Kriminalpolizei ermittelt.

Dieter und Petra Ilius sind seit Jahren für die marxistisch-leninistische Partei MLPD aktiv und kandidieren bei der Thüringer Landtagswahl im September. In Gera werben sie um Stimmen und sind dafür oft mit ihrem Auto unterwegs. Genau bei diesem Auto lockerten jetzt Ende Mai Unbekannte am vorderen Reifen die Radmuttern und setzten eine Bautackernadel in den Reifen, offenbar, um die Luft herauszulassen. Eine Werkstatt bestätigt die Manipulation, die Polizei sucht Zeug:innen.

Den Ilius fiel bei der Fahrt auf, dass etwas nicht stimme. „Zum Glück ist nichts Schlimmeres passiert“, sagt Dieter Ilius der taz. Wer konkret hinter dem Anschlag stecke, wisse er nicht. Aber für ihn und seine Frau ist aufgrund der Zusammenhänge klar, dass dieser von faschistischen Kräften organisiert wurde.

Wenige Tage zuvor besuchte das Ehepaar eine Podiumsdiskussion zur Oberbürgermeisterwahl in Gera – sie waren dort als Aktive der MLPD zu erkennen. Vor Beginn verteilten sie Flugblätter der MLPD „Für das Verbot der AfD und aller faschistischen Organisationen und ihrer Propaganda!“. Während der Diskussion stellte Petra Ilius eine Frage an die Kandidaten und hielt einen kritischen Beitrag zu den sogenannten „Montagsspaziergängen“ in Gera sowie zum „faschistischen Camp“ vor der neuen Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete. Anmelder war dabei jeweils Christian Klar.

Am Ende der Veranstaltung sei dann ein ihnen unbekannter Mann auf sie zugekommen: „Euren Namen merken wir uns.“ Das schüchtere sie nicht ein, versichern beide. „Die bedrohen antifaschistische Kräfte und Kommunisten. Wir werden dagegen weiter Front machen“, sagt Dieter Ilius. „Aber das war schon eine Ansage.“

Gespräche, aber nicht mit Klar

Der CDU-Mann Kurt Dannenberg sagt der taz, er wisse nichts von dem Vorfall. Christian Klars Veranstaltungen könne die Stadt nur mit Auflagen regeln – so sei der rechtliche Rahmen. Als Dezernent für Sicherheit fällt so etwas seit Jahren in den Bereich von Dannenberg. Allerdings zeigte eine Recherche des ARD-Investigativformats Kontext, dass Klar bisher kaum schriftliche Auflagen bekam.

Darauf angesprochen, verweist der CDU-Politiker auf Kooperationsgespräche zwischen Demo­an­mel­de­r:in­nen und der Stadt. Halte sich Klar nicht an die besprochenen Vereinbarungen, könne die Polizei wie bei Auflagen eingreifen. Bisher blieb die Polizei bei Klars Demos jedoch auffällig untätig. In dieser Woche zeigte ein Demo-Teilnehmer sogar den verbotenen Hitlergruß, wie Aufnahmen belegen.

Die Verrohung und Zerrissenheit der Gesellschaft besorge Dannenberg, „nicht nur in Gera“. Was dagegen helfe? Gespräche, antwortet der CDU-Kandidat und betont, das gehe. Allerdings: „Ein Gesprächsformat mit Christian Klar schließe ich derzeit aus.“

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