Konzertempfehlungen für Berlin: Stimmen in der Kälte
Warme Bässe, Kriegsmadrigale, Geräusche und Klänge aus aller Welt sowie die Poesie Künstlicher Intelligenz geben in dieser Woche den Ton an.
Reggae ist was für Kiffer, die keinen Musikgeschmack haben“, bemerkte eine unter allen Umständen zu schützende Quelle vor kurzem zum größten Beitrag aus Jamaika zur Musikgeschichte. In diesem Sinn sei ausdrücklich ein Konzert am Sonnabend im Lido empfohlen, bei dem zwei verdiente Reggae-Gruppen sich die Ehre geben.
Das Vokaltrio „Ashanti“ Roy Johnson, Cedric Myton und Watty Burnett, zusammen aktiv als The Congos, legte mit seinem Debütalbum, dem von Lee „Scratch“ Perry produzierten „Heart of the Congos“ 1977 einen Klassiker vor, dem man, in Ermangelung eines besseren Worts, spirituelle Qualitäten zusprechen kann.
Den Abend teilen sie sich mit den Roots-Veteranen The Gladiators, die für Hits wie das wunderbar zurückgenommene „Roots Natty“ zuständig sind. Sänger ist inzwischen nicht mehr ihr Gründer Albert Griffiths, sondern sein Sohn Al, der das Werk des Vaters fortführt (Lido, 8.6., 20 Uhr, 37,60 Euro).
Eine andere Form von Tiefe ist am Sonntag im Großen Wasserspeicher zu erwarten, wo sich die Maulwerker, Virtuosen der erweiterten Stimmtechnik, die Ehre geben. Grob gesagt, erkunden die Vokalisten, was sich mit dem Mund neben Singen sonst noch so anstellen lässt.
Die Werke stammen überwiegend von mitwirkenden Werkern des Ensembles selbst, etwa von Ariane Jeßulat, Henrik Kairies und Christian Kesten, drei Uraufführungen stehen an, darunter die „madrigali guerrieri. Libro 1“ des ukrainischen Komponisten Adrian Mocanu. Und mit Cornelius Cardew gibt es einen Avantgarde-Klassiker. Der Temperaturverhältnisse in den Gewölben wegen empfehlen die Veranstalter warme Kleidung (Großer Wasserspeicher, Belforter Straße, 9.6., 19.30 Uhr, 6 Euro).
Noch einmal Veteranen, etwas jünger als bei den angekündigten Reggae-Bands, doch immerhin schon 30 Jahre mit eigenartigen Platten elektronischer Musik im Einsatz: Das Duo Matmos, bestehend aus Martin Schmidt und Drew Daniel, seziert mit klinischer Nüchternheit Klänge und Geräusche aller Art und stellt sich in diesem Jahr mit dem Album „Return to Archive“ in einen ehrwürdigen Kontext.
Nichts Geringeres als den Katalog des Labels Folkways Records mit Klängen aus aller Welt haben sie sich vorgenommen, um deren in Vinylform veröffentlichte Field Recordings neu zu „sortieren“. Man hört etwa die bearbeiteten Klänge einer Mud-Dauber Wasp. Auf charmante Weise verstörend. Am Dienstag kann man sie im KM28 erleben. Den Auftakt macht der Komponist Weston Olencki mit „the rocks are different here“ für elektromechanisches Banjo (KM28, Karl-Marx-Straße 28, 11.6., 20 Uhr).
Und was macht die KI mit der Musik? Am Mittwoch gibt der DIY-Musiker Adi Gelbart gemeinsam mit dem Ensemble KNM Berlin im Berghain eine Antwort. Genauer gesagt, er und Alpha, ein Computer, dessen Name wohl nicht zufällig an den titelgebenden Rechner in Jean-Luc Godards Science-Fiction-Film „Alphaville: Lemmy Caution gegen Alpha 60“ (1965) erinnert.
Adi Gelbart glaubt an die Überlegenheit der Computer. Der „Space-Age-Musiker“, wie ihn der Kollege Jens Uthoff genannt hat, baut gern Versatzstücke der unterschiedlichsten Klangkunstformen in unerwarteter Weise zusammen, Neue Musik reimt sich bei ihm auf Lo-Fi-Synthesizer-Trash. Die Synthesizer steuert an diesem Tag Gelbart bei, das Ensemble KNM ist in Streichquartettbesetzung vertreten (Berghain, 12.6., 20 Uhr, Tickets kosten im Vorverkauf 19,47, ermäßigt 15,26 Euro).
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