Die Wahrheit: Rinder im Dirndl
Lebenslänglich Bayer: Weswegen das Leben am Tegernsee nichts mit der normalen Realität zu tun hat.
S o richtig schön war die Badestelle am Tegernsee nicht. Und doch sind wir immer wieder von München aus aufgebrochen, um zu dem kleinen Rasenquadrat an der Ausflusgdampferanlegestelle in St. Quirin zu fahren, wo sich unsere Eltern gebräunt und wir Kinder uns gelangweilt haben. Manchmal sind Leute gekommen, mit denen mein Vater Bairisch gesprochen hat, was er sonst eher nicht gemacht hat. Er waren Menschen aus seiner Kindheit und Jugend am Tegernsee. Die örtliche Jugend hat gezeigt, wie schön ein Köpfer vom Steg aus ins eiskalte Wasser sein kann, das der schmächtige Bub aus der Stadt, der ich war, eher gemieden hat, weil er nicht wirklich gut schwimmen konnte. Die Ausflüge hätten unspektakulärer nicht sein können und haben dazu geführt, dass ich mir bis heute vorstellen kann, dass an diesem als Lago di Bonzo verschrienen See auch stinknormale Leute leben.
Wem solche Kindheitserinnerungen fehlen, muss ein ganz anderes Bild von der Gegend haben, die so malerisch daherkommt, als wäre sie von einer bekannten Dirndl-Designerin entworfen worden. Eine solche ist die Ungarin Kinga Mathe, die einen Flagship Store in Gmund am Tegernsee betreibt, wo es „Tracht-à-Porter“ gibt, die alles andere als stinknormal aussieht. Sonst könnte man sie nicht zum beinahe schon traditionellen Almauftrieb anziehen, einer Veranstaltung, bei der zwar viele Rindviecher zugegen sein mögen, die aber nichts mit Kühen und Almen zu tun hat.
Auf jeden Fall war Kinga Mathe „offizieller Trachtenausstatter“ des diesjährigen Almauftriebs auf Gut Kaltenbrunn direkt am See. Angestoßen wurde, wie es sich für eine Veranstaltung im Voralpenland gehört, mit einem süffigen Rosé aus der Provence, den man sich für 22 Euro pro Flasche auch nach Hause schicken lassen kann.
Ausgedacht hat sich dieses urbayerische Event, zu dem B-Promis eingeladen werden und C- bis Z-Promis sich Premiumkarten für über 400 Euro kaufen können, unter anderem Philipp Greffenius. Der ist bekannt geworden, als er einmal bei einer Bambi-Verleihung, bei der auch Eros Ramazzotti aufgetreten ist, den Discjockey geben durfte und der hinter dem allseits beliebten „Audi Generation Award“ steht, mit dem – gewiss zu Recht – auch der Tegernseer-Tal-Bewohner Philipp Lahm schon ausgezeichnet worden ist.
Feinkost Käfer
Schön, dass das Internet-Portal Tegernseer Stimme aufgeschrieben hat, wer bei der diesjährigen „Summer Edition“ des Almauftriebs dabei war. Sonst hätten wir nie erfahren, dass unter anderem Julia und Nina Meise, die sich Twinfluencer nennen und über 90.000 Followerinnen auf Instagram haben, sich ein Drei-Gänge-Menü von Feinkost Käfer haben schmecken lassen. Es waren noch mehr Influencer da, vielleicht auch solche mit wirklich nennenswerten Followerzahlen.
Wer nicht da war? Stinknormale Leute. Ob man solche an der Anlegestelle in St. Quirin noch immer antreffen kann? Ich hätte glatt Lust, das mal zu überprüfen.
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