Abstruse Reichsbürger-Ideologie

Nächster Prozess gegen die Truppe Reuß: Vom Automechaniker über den Juristen bis zur Astrologin steht jetzt auch in München ein illustrer Trupp von Möchtegern-Revolutionären vor Gericht

Aus München Dominik Baur

Nach den beiden Verfahren in Frankfurt und Stuttgart hat nun vor dem 9. Strafsenat des Oberlandesgerichts München auch der dritte Prozess gegen die Verschwörertruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß begonnen. Die Männer und Frauen hatten nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft den Staatsumsturz geplant, wollten unter anderem den Bundestag stürmen. Nachdem sie aufgeflogen waren, wurden 26 Mitglieder der Terrorgruppe bei einer internationalen Razzia im Dezember 2022 festgenommen. Acht von ihnen, sechs Männer und zwei Frauen, müssen sich seit Dienstag in München vor Gericht verantworten.

Bevor die Generalbundesanwaltschaft mit der Verlesung der Anklageschrift beginnen kann, müssen Justizbeamte erst einen Mann von der Zuschauertribüne entfernen, der plötzlich wüste Beschimpfungen in den Saal brüllt.

Die Liste der Straftatbestände, die die Generalbundesanwaltschaft den Angeklagten vorwirft, ist lang und hat es in sich: Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Bildung einer kriminellen Vereinigung, Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens, Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, diverse Verstöße gegen das Waffengesetz.

Auf der Anklagebank scheint die Stimmung aber dennoch eher gut zu sein. Christian W. etwa aus dem sächsischen Olbernhau, der als „Waffen- und Zeugmeister“ der Gruppe fungiert haben soll, lacht immer wieder, schüttelt auch mal den Kopf oder tauscht Blicke mit Thomas M. aus. Die übrigen Angeklagten verfolgen die Verlesung der Anklageschrift zwar ohne offensichtliche Reaktionen, wirken alles in allem auch eher entspannt.

Es ist eine recht bunte Truppe: vom Juristen über den Kfz-Mechaniker, die Ärztin und den Softwareentwickler bis hin zur Astrologin. Einer trägt einen dunkelblauen Anzug und lässt seinen Anwalt zuallererst klären, wie er trotz Sicherheitsvorkehrungen zu einer Packung Minzbonbons gelangen kann, ein anderer sitzt im kurzärmligen, rot-weiß-karierten Hemd da und putzt seine Brille.

Alle Angehörigen der Vereinigung habe eine abstruse Ideologie verbunden, führen die Vertreter der Generalbundesanwaltschaft aus. Basiert habe sie auf Reichsbürger-Gedankengut und QAnon-Narrativen.

Bei Thomas T. aus Franken, der rechten Hand von Prinz Reuß, soll Ende Juli 2021 die Gründungsversammlung der Gruppe stattgefunden haben. Reuß hätte nach dem Plan der Vereinigung nach einem Umsturz Oberhaupt eines wie auch immer gearteten Staates werden sollen. Er steht derzeit mit den anderen mutmaßlichen Rädelsführern in Frankfurt vor Gericht.

Die Astrologin soll spirituelle Eignung des Führungs­personals überprüft haben

So hatte jeder seine Funktion. Ein weiterer Angeklagter habe in einer neuen Regierung die Militärgerichtsbarkeit übernehmen sollen. Bei den erwarteten Urteilen gegen die Repräsentanten des „Deep State“ habe auch die Todesstrafe zum Einsatz kommen sollen.

Ruth Hildegard L. ihrerseits soll sehr fleißig bei der Rekrutierung neuer Mitglieder gewesen sein. Dass die angeklagte Astrologin auch dafür zuständig gewesen sein soll, anhand von Geburtsdaten und ähnlichen Kriterien die spirituelle Eignung des Führungspersonals zu überprüfen, klingt ja noch lustig oder zumindest skurril. Dass die Reichsbürger-Truppe es ernst meinte, ergibt sich jedoch beispielsweise aus dem Waffenarsenal, das die Polizei sicherstellte. Die Zahl der Waffen geht zumindest in die Hunderte.

Für den Mammutprozess hat das Gericht Termine bis Januar anberaumt. Eine Verlängerung ist möglich.