Essen für Arme: Ein kulinarischer Spaziergang

Warum in die Ferne schweifen, wenn das Elend liegt so nah? Was satt macht, gibt es für ein wenig Flaschenpfand, weiß unser Autor seit Kindheitstagen.

fettige Pommes auf Backblech

Allerlei aus dem Backofen Foto: Gottfried Czepluch/imago

Es war einer der ersten warmen Abende, als ich auf der Suche nach einem Eis am Schaufenster eines Buchladens in Prenzlauer Berg hängen blieb: „Die Küche der Armen“, stand da. Und: „Ein ethnologischer Essay, Reiseberichte und 300 Rezepte“ von Huguette Couffignal (März-Verlag).

Weil der Laden geschlossen hatte, half Google weiter: „Wir werden mitgenommen nach Italien, in die USA und nach Indien – es geht also um die Welt. Allerdings nie zu den Sehenswürdigkeiten, sondern dorthin, wo wir eigentlich nicht genau hinsehen wollen. Couffignal nimmt uns mit zu den Armen“, las ich. Die „Intensität ihrer Beschreibungen“ mache erfahrbar, dass arme Menschen „oft keine Wahl“ hätten. „Vor allem nicht beim Essen.“

Meine ersten, irritierten und zugleich verärgerten Gedanken: Ist es jetzt cool, arm zu sein und keine Wahl zu haben? Ist den Leuten im Prenzlauer Berg vor lauter Wohlstand schon langweilig? Was soll der Scheiß!?!

„Ruhig, Großer“, war dann aber der zweite Gedanke, lass dich nicht provozieren. Und dann dachte ich: Für die Küche der Armen müsst ihr doch nicht um die Welt reisen! Ich habe da selbst ein paar Rezepte, die mich zuverlässig durch die Jugend gebracht haben, obwohl ich auch oft wenig Auswahl hatte. Noch heute greife ich in kurzen Homeoffice-Mittagspausen oder an faulen Feierabenden auf diese Rezepte zurück. Statt Termitenwürstchen aus Subsahara-Afrika, chinesischer Suppe mit Kalbslunge oder schottischem Pudding aus Carragheen-Algen gibt es bei mir: Pizza Un Formaggio, Allerlei aus dem Backofen, Porridge nach turkoschwäbischer Art.

Folge der Packungsanweisung!

1. „Pizza Un Formaggio“: Brotreste mit etwas Wasser anfeuchten. Eine Seite mit Tomatenmark beschmieren. Scheibenkäse in Streifen reißen und auf dem Tomatenmark verteilen. 10 Minuten bei 200 Grad in den Backofen. Anschließend mit Salz, Pfeffer und Chilipulver garnieren.

2. „Allerlei aus dem Backofen“: Pfandflaschen aus Küche und Balkon in einer Tüte sammeln (am besten Plastikflaschen, weil mehr Pfand und leichter). Pfand beim nächsten Supermarkt abgeben. In der Tiefkühlabteilung geeignete Backofen-Gerichte aussuchen: Pommes, Kartoffelecken, Rösti (preisgünstige Discounter-Versionen). Wenn die Pfandausbeute besonders gut war, ist auch eine Packung Rösti mit Frischkäsezubereitung möglich. Zu Hause entsprechend den Packungsanweisungen zubereiten und mit Ketchup, Mayo oder einer anderen, lange haltbaren Sauce, die an finanzstärkeren Tagen­ gekauft wurde, genießen.

3. „Porridge nach turkoschwäbischer Art“: Bei diesem schnell und mühelos zubereiteten und darüber hinaus zu jeder Tages- und Jahreszeit passenden Gericht gibt es nichts, was nicht erlaubt ist. Cornflakes, Müsli oder irgendetwas anderes Trockenes in eine Schüssel ­geben. Milch draufschütten (alternativ Wasser). Falls der Geschmack noch etwas fad ist, mit Zucker nachhelfen. Falls vorhanden, gerne mit Zimt garnieren und genießen.

„In unserem Teil der Welt, der immer noch vor Opulenz überquillt, ist dieses Kochbuch eine Aufforderung zur Besinnung“, heißt es in der Beschreibung von „Die Küche der Armen“. Wer sich beim Essen einmal richtig arm fühlen möchte, „der muss nicht nach Kuba reisen, sondern kann sich derlei exotische Gerichte künftig anhand von diesem Kochbuch selbst zubereiten“. Exotische Küche gibt es aber auch hier bei uns, in Deutschland. Sie müssen nur die Augen danach offen halten.

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Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

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