piwik no script img

Wirtz und Musiala bei der EMLasst sie spielen!

Alle Augen sind auf Florian Wirtz und Jamal Musiala – auf Wusiala – gerichtet. Vor dem aufkommenden Hype möchte man sie am liebsten in Schutz nehmen.

Wie in den Zaubertrank gefallen: Florian Wirtz und Jamal Musiala rennen Foto: Kai Pfaffenbach/reuters

Haha, lustig, was macht ein Hacker am See? Phishen. Und wie heißen zwei Trickser mit Ball? Wusiala. Jamal Musiala und Florian Wirtz, beide 21, müssen dieser Tage damit leben, dass ihre Namen amalgamiert werden. In der Wortneuschöpfung steckt auch irgendwie das Attribut „wuselig“, und das beschreibt trotz der Peinlichkeit der Komposition ihre Spielweise dann doch ganz gut: Sie dribbeln, schlagen Haken, streuen Finten ein, um den Gegner zu narren.

„Ich habe kein Problem Wusiala“, sagt Musiala, der gern mal ein Wort weglässt oder den falschen unbestimmten Artikel verwendet. Dafür kann er besser Englisch als jeder andere im Team, denn seine Jugend verbrachte der Profi des FC Bayern München auf der Insel.

Und Wirtz? Der hat diese Wusiala-Wunderwuzzi-Sache neulich auf der Pressekonferenz in Herzogenaurach missverstanden und dementiert, dass beide alsbald zusammen in München für die Roten kicken: „Ich fühle mich noch sehr wohl in Leverkusen.“ Das „noch“ ließ aufhorchen, aber wie immer die gemeinsame Zukunft der beiden in der Bundesliga auch aussehen mag, jetzt soll eine neue Marke kreiert werden, die so stark ist wie „Schweini & Poldi“ während der Weltmeisterschaft 2006.

Damals ging es schon beim Confed-Cup los, ein Jahr vor dem „Sommermärchen“. Schweinipoldi wirkten auf einfache Art sympathisch, waren mal Beavis und Butt-Head, mal Pat und Patachon. „Ich bin Fußballer, nix weiter, und nicht Popstar oder so, ich will nicht so einer werden wie David Beckham“, versuchte Podolski den aufkommenden Hype zu bremsen.

Schweinipoldi auch bei dieser EM omnipräsent

Aber das machte es natürlich nur schlimmer, und da die Erfolge mit dem Team hinzukamen, war das Branding schnell vollendet, eine Werbebotschaft, die bis heute durchdringt. Schweinipoldi sind in den Wochen dieser EM omnipräsent, als Experte und vor allem Werbefigur. Schweinsteiger bespricht in der ARD Fußballspiele, seriös im Anzug mit nur wenigen Anklängen an seine spätpubertäre Phase, Podolski spielt den Kölner Jung für ein Vergleichsportal, einen Online-Bezahldienst und einen Onlineshop; vor allem der Paypal-Spot funktioniert gut, weil sich beide hübsch auf die Schippe nehmen – und Selbstironie ist ja nun wahrlich keine deutsche Tugend.

Schweinipoldi wirkten mit Aussagen wie „Wenn man Erfolg hat, ist immer schön“ possierlich, ’n bisschen doof, aber tierisch nett. Die Zeiten, als sich Schweinsteiger nachts im Entspannungsbecken des FC Bayern erwischen ließ und Podolski Kölner Journalisten mit der Bitte überraschte, sie mögen zurückrufen, weil ihn das billiger käme, sie waren dann leider schnell vorbei. Doch ihre Rollen spielten der Sechser und der Flügelstürmer weiterhin ziemlich gut. Aus Lolek und Bolek sind freilich Businessmänner und Ballsportbesprecher mit großem Ansehen und dickem Portemonnaie geworden.

Derart gekonnt mit öffentlichen Erwartungen kokettieren, das können die Wusialas von heute nun wirklich noch nicht. Ihre Presseauftritte kommen doch etwas zäh rüber. Wenn ein Journalist zwei Fragen stellt, kann man fast sicher davon ausgehen, dass entweder Musiala oder Wirtz sich zerstreut erkundigt: „Wie war die zweite Frage noch mal?“ Sie wirken viel braver, angepasster als die Altmeister, ihre lauen Zitate taugen nicht wirklich für Schlagzeilen im Boulevard.

Nur manchmal wird’s lustig, wenn Musiala wieder mit der deutschen Sprache kämpft und über die Leistungsentwicklung eines Fußballkollegen sagt: „Er hat sich gut durchgebrochen.“ Aber eigentlich sieht man da nur zwei junge Kerle, die halt verdammt gut Fußball spielen können, besser als die meisten bei dieser Euro im eigenen Land.

„Ich gucke, was das Spiel braucht“, sagt Jamal Musiala, „das kommt natural.“ Sein Alter Ego auf dem Platz ergänzt: „Wir haben viele Ideen in unserem Spiel. Wir wollen vorne frei sein, uns frei bewegen.“ Also bitte, lässt sie spielen, die Burschen, zum Beispiel heute in der Partie gegen Ungarn (18 Uhr, ARD) und hört’s auf mit dem Vermarktungsscheiß, gell?

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare