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Die Welt zu Gast bei Ostwestfalen

Die kleine Stadt und der große Star: Bereits zum zweiten Mal in seiner langen Karriere nächtigt Cristiano Ronaldo mit dem portugiesischen Fußballteam in Harsewinkel. Unser Autor hat sich mal umgeschaut an der B 513

Aus Harsewinkel-Marienfeld Bernd Gieseking

Bei den Quoten der Wettbüros für die Europameisterschaft steht die portugiesische Nationalmannschaft auf Platz 4, in einer kleinen Stadt im beschaulichen Ostwestfalen wünscht man sie sich derweil ins Endspiel. Denn während der EM residieren die Portugiesen in der „Mähdrescherstadt“ Harsewinkel, wie sie auf dem Ortseingangsschild genannt wird, der Heimat des Landmaschinenherstellers Claas.

Die Stadt Harsewinkel ist, mit Caesar gesprochen, omnis divisa in partes tres, in drei Teile geteilt. Erst eine Gebietsreform im Jahr 1973 führte Greffen, Harsewinkel und Marienfeld zu einer Kommune zusammen. Jeder der drei Ortsteile hat einen eigenen Sportverein, und man erinnert sich noch an frühere Fehden, als man sich gegenseitig weder Ball noch Tanzpartnerinnen gönnte. „Wenn Marienfeld gegen Harsewinkel spielte, dann war das wie Deutschland gegen Holland. Und wenn du gegen Harsewinkel verloren hast, dann wurdest du eine Woche lang in der Schule verarscht“, sagt Jürgen Garnschröder, Vorsitzender von Schwarz-Weiß Marienfeld.

Heute aber neidet niemand mehr, und so gönnen der Westen und die Mitte dem östlichen Marienfeld die Stellung als Top-Gastgeber der Kleinstadt. Denn hier, auf dem weitläufigen Gelände eines vormaligen Zisterzienserklosters, liegt das Sporthotel Klosterpforte in größtenteils historischen Gebäuden, mit Restaurant, Fußballplätzen und der ehemaligen Klosterkirche. Selbst ehemalige Kanzler und Konsorten haben hier schon diskret und privat gefeiert, jedoch: What happens in the Klosterpforte, stays in the Klosterpforte. Das Personal gibt mir keinerlei Auskünfte darüber, was hinter den Hotelmauern konsumiert oder passiert sein könnte. Schlecht kann es jedenfalls nicht sein, denn die Portugiesen steigen schon zum zweiten Mal hier ab. Schon zur Weltmeisterschaft 2006 weilten sie im Hotel Klosterpforte. Sollte ihnen der Coup gelingen, der Einzug ins Endspiel, dann schlafen sie von Mitte Juni bis Mitte Juli zwischen Baumalleen, Weizen- und Rapsfeldern in Hörweite der B513.

Nur zehn Minuten Fußweg, die Klosterstraße und ein Stück am kleinen Flüsschen Lutter entlang, schon stehe ich auf dem Trainingsgelände von Schwarz-Weiß Marienfeld, top in Schuss durch viele Hundert Stunden Eigenarbeit, mit einem nigelnagelneuen Kunstrasenplatz aus 2023 („Sportabzeichenfähig!“, sagt Jürgen Garnschröder) und zwei Naturrasenplätzen. Zu den 12 Abteilungen gehören auch Darts, Skat und das „Radteam Staubwolke“. Der Verein hat sagenhafte 1.500 Mitglieder, bei 5.179 Marienfeldern. Die neueste Abteilung spielt Cornhole, auch Bean Bag oder Sackloch genannt. Kleine Säcke, mit Granulat oder Mais gefüllt, müssen in ein Loch auf einem leicht ansteigenden Brett geworfen werden. Zwei Mannschaften stehen sich an zwei Platten mit „27 Feet“ Abstand, 8,23 Meter, gegenüber.

Doch zurück zum Fußball. Beide Herrenmannschaften des SW Marienfeld spielen in der Kreisliga B, aber in unterschiedlichen Gruppen. Der Aufstieg als Ziel? Ja, gerne, aber man habe sich entschieden, die sportlichen Ziele nicht zu hoch zu stecken. Man wolle „nicht Geld in die Hand nehmen und andere Spieler dazukaufen“, was der Weg in höhere Klassen mit sich bringen würde, sagt Vereinschef Garnschröder und erzählt begeistert von der Nachwuchsarbeit, von den 21 Kinder- und Jugendmannschaften allein im Fußballbereich, davon, dass die Abteilung sich entschieden habe, für den Breitensport vor Ort da zu sein.

Zur Fußballabteilung von Schwarz-Weiß Marienfeld gehört auch ein Team des Walking Football. Natürlich stammt auch dieser Sport aus England. Eine Fußballvariante für Ü-50er und Menschen, die, warum auch immer, in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Die wichtigste Regel in dieser Disziplin: Es darf auf dem Feld nicht gelaufen, sondern nur gegangen werden.

Portugals erster Besuch zur WM 2006 ist Jürgen Garnschröder in lebhafter Erinnerung geblieben. „Manchmal konnte man die Spieler auf dem Fahrrad an der Lutter entlangfahren sehen“, sagt er. „Aber wir durften keine Fotos machen.“ Garnschröders Augen leuchten, wenn er von Trainer Felipe Scolari („Der war damals sogar bei uns auf der Anlage“) oder vom damaligen Superstar Luís Figo spricht. Der gab zur WM 2006 nach seinem Rücktritt 2004 sein Comeback. Nach den Wochen in Marienfeld – da sind wir zwei Ostwestfalen uns sicher – muss Figo entschieden haben, dass ein Turnieraufenthalt im Ostwestfälischen nicht mehr zu toppen sein werde und dass das Spiel um den dritten Platz der WM sein endgültiges Abschiedsspiel sein solle.

Damals, 2006 spielte bei den Portugiesen auch ein gewisser Cristiano Ronaldo mit, ein 21-jähriger, aufstrebender Ballartist von Manchester United, der ein Tor in der Gruppenrunde gegen den Iran schoss und ein weiteres beim Elfmeterschießen im Viertelfinale gegen England. Und der ist jetzt noch einmal da, nun ein 39-Jähriger im Spätestherbst seiner Karriere und unter Vertrag in Saudi-Arabien. Gut möglich, dass auch für den Superstar aus Madeira der Aufenthalt in der Klosterpforte in Marienfeld der Abschluss seiner 21 Jahre in der portugiesischen Nationalmannschaft wird.

Hat es 2006 Kontakte gegeben zur portugiesischen Mannschaft? Zu diesem faszinierenden Ronaldo, dem zeitweise irritierend eitlen Pfau? Nein, erzählt Garnschröder, das hätten schon die intensiven Sicherheitsmaßnahmen verhindert. Er habe aber gehört, dass angeblich zwei portugiesische Spieler damals ein Golfmobil in der Lutter versenkt hätten. „Nicht wirklich spektakulär“, kommentiert er.

Einer Segnung – einzeln oder für die ganze Mannschaft – stünde nichts im Wege, sagt Pfarrer Franz Josef Backhaus

Garnschröder hofft, dass „wir“ noch mal so ein toller Gastgeber sein werden und erinnert daran, dass 2006 zum ersten Mal deutsche Fahnen und Rückspiegelüberzieher in den Nationalfarben alltäglich gewesen seien. „Hier in Marienfeld und Harsewinkel hatten viele aber die portugiesischen Farben am Rückspiegel. Oder beide!“ Und wer wird Europameister? „Ich tippe nach Wunsch: Deutschland gegen Portugal im Endspiel, und dann soll Portugal Zweiter werden. Das würde uns Marienfelder am meisten freuen.“

Zurück im Hotel Klosterpforte. Noch ist nichts zu spüren von den angekündigten Sicherheitsmaßnahmen. Ich spaziere über den Klosterhof zur Fußballanlage und gehe schließlich in die Kirche. Das vielleicht wichtigste Detail der Hotelanlage, und sicher ein zentrales Kriterium für Portugals Entscheidung pro Marienfeld, ist die auf dem Gelände beheimatete Gemeinde mit der ehemaligen Klosterkirche.

Die hiesige Pfarrei St. Lucia, ehemals St. Marien, ist gerüstet und bereit, Segen zu spenden und Beichten abzunehmen. Gerüchte sprechen von einigen „Ausflügen“ der Fußballer damals, 2006, in die Umgebung, in nah gelegene Kneipen und Landgasthöfe. Mehr ist nicht zu erfahren. Auch heute noch, 18 Jahre danach, hält sich nicht nur die Geistlichkeit in Harsewinkel streng an das Beichtgeheimnis.

Auf Nachfrage zum Kirchgang sagt der heute leitende Pfarrer, Franz Josef Backhaus, seines Wissens nach habe 2006 Trainer Felipe Scolari mehrfach die Gottesdienste in der ehemaligen Abteikirche mitgefeiert. Und, ergänzt er, auch in diesem Jahr sei die portugiesische Nationalmannschaft mit Trainerstab und Offiziellen dazu herzlich eingeladen. Selbst einer Segnung – Einzel- oder Mannschaftssegnung – stünde nichts im Wege, wenn das gewünscht werde.

Die Stadt Harsewinkel plant am 13. Juni im Klosterhof einen öffentlichen Empfang, eine Fanmeile für die portugiesische Mannschaft und ein Public Viewing des Eröffnungsspiels am Folgetag. Außerdem wird es am 14. Juni ein öffentliches Training der Portugiesen geben, im nur 12 Kilometer entfernten Ohlendorf-Stadion des FC Gütersloh. 6.000 Karten wurden kostenlos vergeben, im Online-Verfahren konnte man sich bewerben. 50.000 Interessenten schalteten sich zu, innerhalb einer Minute waren alle Karten weg.

Im Grunde hat niemand in Marienfeld und niemand in Harsewinkel tatsächlich die Hoffnung auf ein direktes Zusammentreffen mit den Spielern. Aber, das könnte doch eine feine, große Geste der Portugiesen sein: Wie wäre es mit einem Walking-Football-Spiel der portugiesischen Nationalmannschaft gegen Schwarz-Weiß Marienfeld? Stürmer Cristiano Ronaldo gegen Verteidiger Jürgen Garnschröder. Ein Aufeinandertreffen für die Annalen. Ich tippe auf ein Unentschieden.

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