Neukölln-Untersuchungsausschuss: Keine Akten für Aufklärung?
Der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum rechtsextremen Neukölln-Komplex klagt nun auf die Freigabe von Ermittlungsakten. Die Zeit drängt.
Bei den geforderten Unterlagen handelt es sich um Dokumente zu dem Prozess gegen die Neonazis Sebastian T. und Tilo P. Die beiden stehen im Verdacht, Anfang 2018 das Auto des Linken-Politikers Ferat Koçak und das eines Rudower Buchhändlers in Brand gesetzt zu haben. Wegen Mangels an Beweisen wurden sie zunächst freigesprochen. Die Generalstaatsanwaltschaft legte allerdings Berufung ein, der Fall geht in die nächste Runde.
Die zwei Brandstiftungen gehören zu den seit 2013 bisher gezählten 72 Fällen einer rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln. Wie diese gelten auch viele andere Attacken im Zusammenhang mit dem Neukölln-Komplex noch immer als unaufgeklärt.
Aufgabe des Untersuchungsausschusses ist es, sich diese Fälle noch einmal genau vorzunehmen. Vor allem aber beschäftigt er sich mit der Frage, was bei den Ermittlungen schief gelaufen ist. Mehrfach betonten Ausschusschef Vasili Franco und andere Abgeordnete am Freitag die Relevanz der Akten, ohne die der Ausschuss seiner Arbeit nicht nachgehen könne.
Unterlagen von Landgericht verwehrt
Schon im Februar hatten die Ausschussmitglieder um Einsicht in die Unterlagen zu Sebastian T. und Tilo P. gebeten, das Landgericht Berlin blockte ab. Begründung: Die Untersuchung im Rahmen des Strafverfahrens würde noch laufen, man habe Sorge, dass sie durch eine Aufarbeitung im Ausschuss gestört werden könnte oder Erkenntnisse zu früh an die Öffentlichkeit geraten.
Grünen-Politiker Franco sagte nun, dass er die Vorsicht nachvollziehen könne, man habe aber überhaupt nicht vor, sich in die Ermittlungen einzumischen. Ein Untersuchungsausschuss sei schließlich genau das: ein Ausschuss und kein Gericht. Ziel sei lediglich die politische Betrachtung und die Untersuchung des Handelns der Behörden.
Die Klage sei für den Ausschuss der „letzte Ausweg“ und ein „schwieriger Schritt“, sagte auch der CDU-Abgeordnete Stephan Standfuß. Man habe in den vergangenen Monaten alles andere versucht, ohne Erfolg.
Der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Niklas Schrader, stellte schließlich die Frage in den Raum, ob die Justiz den Ausschuss als Störfaktor wahrnehme oder als demokratisch legitimiertes Gremium. Für Schrader steht fest: „Wir sind es den Betroffenen der Neuköllner Anschlagsserie schuldig, alles bei der Aufklärung zu machen, was wir können.“
Der Fall Luke Holland
Einer der Betroffenen saß am Freitag im Abgeordnetenhaus im Publikum: Philip Holland, der Vater von Luke Holland, aus Manchester angereist. Sein Sohn wurde am 20. September 2015 in Neukölln ermordet. Der Ausschuss befragte nun Zeug:innen zu dem Mord.
Die Richter:innen waren sich 2016 sicher, dass es Rolf Z. war, der aus nächster Nähe auf Luke Holland schoss, und verurteilten den damals 63-Jährigen zu über elf Jahren Haft. Nur ein rechtes oder rassistisches Mordmotiv wollten sie nicht erkennen – trotz fremdenfeindlicher Aussagen und Nazi-Devotionalien in Z.s Wohnung.
Onur Özata, der Opferanwalt der Familie Holland, der am Vormittag als Zeuge auftrat, sprach von einer Entpolitisierung bei den Untersuchungen zu dem Mord. Die zeigen letztlich viele Ähnlichkeiten mit dem Fall Burak Bektaş, den der Untersuchungsausschuss vor zwei Wochen behandelte.
Philip Holland erwähnte am Rande der Ausschusssitzung gegenüber der taz, dass ihm das große Ausmaß des Neukölln-Ausschusses und die Hindernisse, die den Abgeordneten bei ihrer Arbeit in den Weg gelegt werden, vorher nicht bewusst waren.
Der Ausschuss muss seine Arbeit bis zum Ende der Legislaturperiode beenden. Auch deshalb beharren Vasili Franco und seine Kolleg:innen auf einer schnellen Herausgabe der Akten. Die Zeit rennt.
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