Kritik an russischem Schachfunktionär: Rüge für den Chef

Der russische Fide-Präsident Arkadij Dworkowitsch wird von der Ethik­kommission des Schachweltverbands wegen seiner Kreml-Nähe sanktioniert.

Ein langer Tisch auf dem viele Schachbretter mit Figuren stehen. Der Fide-Präsident steht an einem Brett, auf der anderen Seite sitzt ein Junge

Dworkowitsch stellt den russischen Nachwuchs in Moskau beim Simultanschach auf die Probe Foto: imago

Die Ethik- und Disziplinarkommission des Schachweltverbandes Fide (EDC) machte in der Vergangenheit nicht immer den Eindruck, gänzlich unabhängig von der Verbandsspitze zu agieren. In der Betrugsaffäre um Hans Niemann und Magnus Carlsen etwa hielt sie einen Untersuchungsbericht monatelang zurück, aus fadenscheinigen Gründen.

Am vergangenen Freitag jedoch gewann sie einen bedeutenden Teil ihrer Kredibilität als Kontrollgremium des Weltschachs zurück: Sie rügte den russischen Fide-Präsidenten Arkadij Dworkowitsch für seine Nähe zum Kreml, besonders seit dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022. Die EDC sperrt zudem den Russischen Schachverband für zwei Jahre von sämtlichen Fide-Treffen aus.

Die Entscheidung geht auf eine Beschwerde des ukrainischen Schachverbandes, des ukrainischen Schachspielers Andrii Baryshpolets und des dänischen Trainers Peter Heine Nielsen zurück. Nielsen, der jahrelang mit Magnus Carlsen zusammengearbeitet hat, ist der Ehemann der litauischen Parlamentsvorsitzenden und prangert schon lange und unermüdlich die Kreml-Nähe des Fide-Präsidenten an. „Persönlich spüre ich eine große Erleichterung nach dieser Entscheidung“, sagt Nielsen am Telefon. „Dass sich Dinge wirklich ändern, glaube ich aber nicht. Ich möchte, dass die Schachverbände handeln.“ Baryshpolets und Nielsen hatten im Juli 2022 gemeinsam gegen Dworkowitsch um das Präsidentenamt kandidiert, waren aber chancenlos.

Die Vorwürfe, die sie nun gegen Dworkowitsch zusammentrugen, sind zahlreich. Für sanktionswürdig hält die EDC einzig die Mitgliedschaft des Fide-Präsidenten in einem Kuratorium des Russischen Schachverbandes, dem unter anderem auch der langjährige Verteidigungsminister Sergej Shoigu und der Kremlsprecher Dmitrij Peskow angehören. Dafür müsse er „kritisiert und sanktioniert“ werden, schreibt die EDC in ihrer Entscheidung: „Herr Dworkowitsch wird hiermit aufgefordert, von seinem Amt in dem Kuratorium innerhalb von 60 Tagen zurückzutreten.“

Schaden für das Ansehen des Verbandes

Die EDC begründet die Rüge gegen den Präsidenten mit dem Schaden, den er dem Ansehen der Fide zufüge. Vom Russischen Verband erwartet die Ethikkommission, dass er das Kuratorium entweder auflöst oder die international sanktionierten Kriegsbefürworter daraus entlässt. Als ebenfalls strafwürdiges Verhalten bewertet die EDC, dass der russische Verband Schachturniere in den besetzten Gebieten der Ukraine unter russischer Flagge austrägt.

Die Verteidigungsstrategien, dass das Gremium weder Entscheidungsgewalt im russischen Verband habe und man den Menschen in den besetzten Gebieten doch bloß das Schachspielen ermöglichen wolle, liefen ins Leere. Zumindest vorerst. Arkadij Dworkowitsch und der Russische Schachverband haben 21 Tage Zeit, um Einspruch einzulegen. Der russische Verbandspräsident Andrey Filatov kündigte genau das bereits am Samstag an. Er halte „die Entscheidung der Fide-Ethikkommission für opportunistisch, politisch motiviert und diskriminierend gegenüber russischen Schachspielern“ und werde „weiterhin für die Rechte der russischen Spieler kämpfen“. Tatsächlich sind weder russische Spieler noch Trainer von der EDC-Entscheidung betroffen, sie dürfen weiter unter neutraler Flagge an Turnieren teilnehmen.

Am Montag äußerte sich auch Dworkowitsch gegenüber der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass. Er wolle in Berufung gehen – und: „Sollte die endgültige Entscheidung weder dem Russischen Schachbund noch mir zusagen, besteht die Möglichkeit, Berufung beim Internationalen Sportgerichtshof (Cas) einzulegen.“ Kläger Nielsen, der mit seinen Kollegen ebenfalls eine Berufung erwägt, findet das gut: „Nur eine Cas-Entscheidung in unserem Sinne würde Fide zwingen zu handeln.“

Fast zwei Jahrzehnte gehörte Dworkowitsch der russischen Regierung an, von 2012 bis 2018 war er stellvertretender Ministerpräsident im Kreml. Anschließend saß er dem Stiftungsrat des Innovationszentrums Skolkowo vor, bis er diesen Posten kurz nach Kriegsbeginn verließ. Ebenfalls seit 2018 ist er Fide-Präsident. Mit öffentlichen Statements zum Krieg in der Ukraine hält er sich zurück, nennt ihn gerne eine „geopolitische Situation“.

Vor einem knappen Jahr feierte er den Internationalen Schachtag in Moskau, Fotos zeigen ihn unter anderem gemeinsam mit Kremlsprecher Dmitrij Peskow. „Das blamiert Schachspieler auf der ganzen Welt“, findet Nielsen. Bei der Fide-Generalversammlung im Dezember 2023 stimmte die überwältigende Mehrheit indes für eine Aufhebung der Begrenzung von zwei Amtszeiten pro Präsident. Damit kann Dworkowitsch 2026 erneut antreten.

Der Deutsche Schachbund (DSB), der als einer von wenigen die Präsidentschaftskampagne von Baryshpolets und Nielsen vor zwei Jahren unterstützt hatte, teilte mit, Präsidentin Ingrid Lauterbach habe mit Nielsen über eine Beteiligung des DSB an der Beschwerde vor der EDC gesprochen. Letztlich habe man sich aber dagegen entschieden. Einige der Vorwürfe habe sie als zu weit hergeholt empfunden, erklärt Lauterbach. „Wir begrüßen die Entscheidung der Ethikkommission“, sagt die DSB-Präsidentin. „Die enge Nähe zwischen Kreml und Fide ist einfach toxisch.“ Mit Konsequenzen freilich rechne sie nicht. „Ich glaube, der Masse der Fide-Mitglieder ist das völlig egal.“ Stattdessen befürchtet Lauterbach, es werde Versuche geben, die Befugnisse des EDC künftig zu begrenzen.

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