Ukrainisch-britisches Jazz-Duo: Spirituelle Fusion

Auf ihrem Album „Altera Vita“ geben Alina Bzhezhinska und Tony Kofi mit Harfe und Saxofon „Antwort auf eine Welt, die einen Reset braucht“.

Alina Bzhezhinska und Tony Kofi sitzen entspannt in einer Kissenlandschaft

Alina Bzhezhinska und Tony Kofi spielen und improvisieren schon lange gemeinsam Foto: HipHarpCollective

Alles beginnt mit perlenden Harfenklängen, sie tönen mal leicht, mal sehr bestimmt – dann schließlich mit Nachdruck. Für wenige Sekunden münden sie in Stille, dann setzt eine melancholische Saxofonmelodie ein, die elegant von der Harfe umspielt wird. Dieses leichtfüßige, eingängige Tänzeln zwischen Ambient und Jazz beider Instrumente wird gebrochen von einer energiegeladenen, beinahe aggressiven Harfenimprovisation, an die schließlich wieder das Saxofon mit der schon bekannten Hookline anknüpft. Die Klangstruktur durchläuft eine Entwicklung, ist am Ende des fünfeinhalbminütigen Songs trotz der Einfachheit der Bestandteile komplex.

„Altera Vita – Another Life“ lautet der Titel nicht nur dieses Songs, sondern auch des Albums der ukrainischen Harfenistin Alina Bzhezhinska und des britischen Saxofonisten Tony Kofi. Die Musik des Duos fühlt sich tatsächlich wie ein anderes Leben an, inmitten globaler Krisen. In den Genuss dieser kontemplativen Sounds kommen zu dürfen und die Aufmerksamkeit auf die schlichte, an keine bestimmte Zeit und Trends gebundene Schönheit des Zusammenspiels aus Harfe und Saxofon zu richten, tut gut.

„Die Musik ist unsere spontane Antwort auf eine Welt, die dringend einen Reset braucht“, heißt es passend in den Liner Notes. Sie bezeichnen „Altera Vita“ auch als „akustische Oase“. Es handelt sich um das Debüt der beiden Mu­si­ke­r*in­nen als Duo. Auch die dezent eingesetzten Percussion stammen von den beiden, lediglich die Tanpura, ein indisches Saiteninstrument, wurde von der französischen Saxofonistin Muriel Grossmann beigesteuert.

Bzhezhinska und Kofi spielen nicht einfach zusammen, sie treten in einen suchenden Dialog, der in der eigenwilligen Formensprache ihrer Musik die grundlegenden Fragen menschlicher Existenz ergründet. „Altera Vita“ ist spirituell, im positiven Sinne des Wortes.

Magischer Drive

Der Auftakt des Albums „Tabula Rasa – Blank State“, wie alle übrigen Albumtitel auf Latein und Englisch, ist dem Ur-Zustand der Seele gewidmet. Zum Tenor­saxofon von Kofi gesellen sich äußerst dynamische, ihn überlagernde positive Klänge von Bzhezhinskas Harfe, auch Percussion versprüht magischen Drive. Eine wunderbare Symbiose, die auch auf den anderen Songs des Albums spürbar ist: „Tu Vides – You See“, „Tange – Touch“, „Audite Me – Hear Me“ und „Anima – Breathe“.

Die meditative Musik appelliert an das Innerste im Menschen, lädt zum Innehalten und Spüren ein. „Es geht uns darum, im Hier und Jetzt zu sein“, sagt Bzhezhinska der taz. Tony Kofi wuchs als Sohn ghanaischer Immigranten mit sechs Brüdern in Nottingham auf. Neben Alt-, Bariton- und Sopransaxofon spielt er auch Flöte, komponiert und unterrichtet.

Die aus der Ukrai­ne stammende Alina Bzhezhinska hat einen Ruf als virtuose Harfenistin. Sie studierte an der Musikhochschule in Warschau und in den USA. Seit 2002 lebt sie in Großbritannien, wo sie etwa im von ihr gegründeten HipHarpCollective zeitgenössische Harfenmusik erforscht.

Kofi und Bzhezhinska trafen sich 2016 bei einem Konzert in London. „Ich habe buchstäblich seinen Sound vor ihm getroffen“, erzählt die Harfenistin. „Es war stockfinster, und ich kam etwas zu spät und konnte nichts sehen. Aber dann hörte ich den Klang des Saxofons und verliebte mich.“ Seit dem Angriffskrieg Russlands auf ihre Heimat sammelt sie mit ihrer Musik regelmäßig Geld, um ukrainischen Kindern Kunsttherapien zu ermöglichen.

Den Pionieren des Spirituell Jazz gewidmet

Der Titelsong des Albums „Altera Vita“ markiert den Anfang des gesamten Projekts. Er ist dem 2022 verstorbenen, legendären US-Jazzsaxofonisten Pharoah Sanders gewidmet. Kofi und Bzhezhinska begegneten ihm 2017 im Londoner Barbican Centre. Dort gestaltete das Duo mit Sanders und anderen einen Abend im Gedenken an John und Alice Coltrane. Letztere prägten in den 1960er und 1970er Jahren wie auch Pharoah Sanders den „Spiritual Jazz“.

Alina Bzhezhinska & Tony Kofi: „Altera Vita“ (BBE/Rough Trade)

Nach Sanders’ Tod komponierte Tony Kofi „Altera Vita“ – und holte sich Unterstützung von Bzhezhinska. „Tony hat immer Melodien im Kopf“, so Bzhezhinska. Für die Aufnahme hätten sie kaum geprobt, da sie seit sieben Jahren zusammenspielen, alles beruht auf Improvisation.

Was sie zusammen erschaffen, ist in der Tat die gelungene, zeitgemäße Fortsetzung des Spiritual-Jazz-Erbes. „Altera Vita“ ist im besten Sinne Fusionsound, in einer Zeit von Zersplitterung und Abgrenzung: Westafrikanischen, afrobritische und osteuropäischen Akzente, welche die beiden in den Jazz tragen, bezaubern.

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