20. Todestag DDR-Künstler Werner Tübke: Der Raffaelit der DDR
Eine Leipziger Ausstellung erinnert an Maler Werner Tübke. Mit seinem eigenwilligen Historismus erlangte er DDR-Staatsaufträge und manch freie Nische.
Kaum ein Künstler der ehemaligen DDR erregte national wie auch international so viel Aufsehen wie Werner Tübke. Dass der Maler die historischen Stile der Alten Meister anwandte und sich dabei nicht vor der Kopie scheute – das war in den 1960ern bis 1980ern außergewöhnlich bis provokativ, übte man sich doch auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs entweder eher in der Abstraktion oder in einem neuen Realismus.
Mit seinem gemalten Historismus konnte Werner Tübke zwischen Auftragskunst und Zensur künstlerische Spielräume finden. Das zeigt derzeit auch das Museum der bildenden Künste (MdbK) Leipzig in einer Tübke-Schau. Die Kuratoren Frank Zöllner und Stefan Weppelmann werfen darin einen kabinettartigen Blick auf Tübkes „Sehnsuchtsland“ Italien. Denn laut Zöllner sind etwa 15 Prozent seines mehr als 400 Gemälde umfassenden Werks „sicher von Italien direkt beeinflusst“.
Tübke studierte nicht nur die Kunst der italienischen Renaissance in DDR-Sammlungen – Raffael in Dresden, Ghirlandaio in Ostberlin –, er bereiste auch im Gegensatz zu den meisten DDR-Bürger*innen das Land. Wenngleich er Mitte der 1950er zeitweise in Ungnade gefallen war, durfte er ab 1971 nach Florenz, Mailand oder Rom, wo er Museen aufsuchte, in Galerien ausstellte und Kollegen traf, etwa den „malenden Metaphysiker“ Giorgio de Chirico.
Auf Tübkes Kreidelithografie von 1983 lässt sich Raffaels Colonna-Altarbild erkennen. Tübkes Hommage an den Renaissancemaler fällt jedoch seltsam manieristisch aus: Die Körper sind grotesk gestreckt, die Posen übertrieben. Das Original durch die Kopie derart zu verfremden hat etwas Subversives. Das lässt sich auch auf Tübkes Malereien in der Ausstellung beobachten.
Eine davon zeigt einen sizilianischen Landarbeiter mit schwarzen Locken, offenem Hemd, Goldkette und buschigem Brusthaar, der gleichsam an das Porträt des Kaufmanns Georg Giese von Hans Holbein dem Jüngeren erinnert. Tübke unterläuft mit dem Bild die Konventionen des Sozialistischen Realismus: Der Porträtierte ist als Arbeiter erkennbar, ein „Held der Arbeit“ ist er aber beileibe nicht. Vielmehr zeigt Tübke ihn schillernd zwischen Klischee und Individuum, er witzelt über die politische Inszenierung einer vermeintlichen Arbeiterklasse, ist aber der porträtierten Person ernsthaft zugewandt.
Ähnlich ging der Künstler schließlich mit sich selbst um, wie die in der Ausstellung versammelten Selbstporträts vorführen. So kann einem Tübke als entrücktes Genie begegnen, wie sich auch Raffael auf seinem berühmten Selbstporträt mit Kappe inszenierte, das heute in den Uffizien hängt. Allerdings trägt Tübke einen befleckten, also mit Spuren des Künstlerhandwerks übersäten Kittel. Er bricht mit dem Original, macht sich ein wenig über das Künstlergenie und damit über das eigene Tun lustig.
„Tübke und Italien“: Museum der bildenden Künste Leipzig, bis 16. Juni, Katalog: 25 Euro
Dieser Witz scheint seinen Nachfolger*innen, die heute unter dem Label Leipziger Schule gut im internationalen Kunstmarkt platziert sind, zu fehlen.
Vor 20 Jahren, am 27. Mai 2004, ist Werner Tübke gestorben. In den späten Jahren der DDR konnte er mit seinem eigensinnigen Historismus noch zum Staatskünstler avancieren.
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