Spielfilm „Alle die Du bist“: Arbeit, Liebe, Resilienz

Ein nüchterner Blick auf die Arbeiterschicht, ein entrückter auf die Liebe: Michael Fetter Nathanskys Film „Alle die Du bist“ ist exzeptionell gut.

Eine Frau legt ihren Kopf auf den eines Ochsen

Arbeit, Liebe, Resilienz: Nadine (Aenne Schwarz) und Paul in „Alle die Du bist“ Foto: Port aux Prince Pictures

Alle sind in hellem Aufruhr, nur sie ist es nicht. Nadine (Aenne Schwarz) bahnt sich einen Weg durch eine Traube gestresster Arbeiter und Bürokraten, deren Redeschwall auf sie niederprasselt. Paul, ihr Ehemann (Carlo Ljubek), hat sich im Keller des Unternehmens verbarrikadiert, in dem er sich um einen Job bemühen wollte. Doch nur wenige Minuten nachdem das Vorstellungsgespräch begann, stürmte er aus dem Büro.

Nadine kennt den Grund für Pauls Verhalten, das bei den Umstehenden nur Unverständnis hervorruft. Mit routinierter Bestimmtheit klettert sie über die Absperrung und nähert sich mit beschwichtigenden Worten ihrem unter Angstzuständen leidenden Ehemann. Als sie, und auch die Kamera, ihn erstmals erblickt, steht er als stämmiger Ochse vor ihr. Sanft streichelt sie sein Fell, schmiegt sich an ihn, während der Blick des Tiers stoisch umherwandert.

Paul wird im Laufe der Handlung immer wieder die Gestalt wechseln. Mal wird er als kleines Kind (Sammy Schrein) vor seiner Ehefrau kauern, sie mit in den Händen verborgenem Gesicht ängstlich um Verzeihung bitten für die Mühen, die er ihr bereitet. Kehrt sein Mut zurück, wird er sogar ein wenig waghalsig, begegnet er ihr als junger Erwachsener (Youness Aabbaz). Gelingt es ihm, sie in Sicherheit zu wiegen, kümmert er sich um sie, steht er Nadine plötzlich als mütterliche alte Dame (Jule ­Nebel-Linnenbaum) gegenüber.

Die liebsamen und unliebsamen Bestandteile

„Alle die Du bist“. Regie: Michael Fetter Nathansky.

Mit Aenne Schwarz, Carlo Ljubek u. a. Deutschland/Spanien 2024, 108 Min.

In „Alle die Du bist“ greift Regisseur und Drehbuchautor Michael Fetter Nathansky auf eine ähnliche Methodik zurück wie kürzlich in der Tragikomödie „The Ordinaries“, die er zusammen mit Sophie Linnenbaum verfasste. Fungierte darin eine streng hierarchische (Kino-)Welt, in der Haupt- und Nebenfiguren um möglichst viel Spielzeit konkurrieren, als Metapher für soziale Ungleichheit, ist das Sinnbildliche auch in diesem, seinem neuen Film keine selbstzufriedene stilistische Spielerei.

Das sich ständig wandelnde Erscheinungsbild Pauls ist das einzige surrealistische Element, das sich das ansonsten überaus realitätsnah erzählende Drama erlaubt. Und auch das dient einzig dem Ziel, die Wirklichkeit, wie Nadine sie wahrnimmt, ein wenig sichtbarer zu machen. In ihr zerfällt Paul gerade in seine Bestandteile, die liebsamen und unliebsamen, die seine Ehefrau sorgsam prüft und studiert, auf dass sie schlau daraus werde. Wahrhaftig widmen kann sie sich diesen Betrachtungen allerdings nicht.

Denn „Alle die Du bist“ ist mindestens so sehr nüchternes Sozial- wie minimal magisches Liebesdrama. Um den Ehemann und die beiden kleinen Töchter kümmert sich Nadine neben ihrer Arbeit als Mechatronikerin in einem Betrieb, der den Fuhrpark eines rheinischen Bergbaukonzerns wartet und mit dem nahenden Kohleausstieg vor dem Aus steht.

In der Werkstatt zeigt sich ein ähnliches Bild wie in ihrer Beziehung: Während die Kollegen in kopflose Panik verfallen, agiert sie mit taktierender Entschiedenheit, versucht die Belegschaft zu einen und zu beruhigen. Die Stimmung des Films changiert dabei meisterlich zwischen bleierner Schwere und dem Galgenhumor derer, die nichts anderes denn prekäre Verhältnisse gewohnt sind; denen nichts anderes bleibt, als diese Schwere auf die leichte Schulter zu nehmen, wollen sie nicht an ihr verzweifeln. Insbesondere Sara Fazilat („Holy ­Spider“) brilliert als hemdsärmelige Kollegin, die die Frustration über ihre eigene Ohnmacht mit vorlautem Witz überspielt.

Die Widerstandsfähigkeit der Arbeiterschicht

Lange dürfte es keinen Film mehr im deutschen Kino gegeben haben, der die besondere Widerstandsfähigkeit der Arbeiterschicht derart präzise einfängt, ohne sie zu idealisieren, ihre alltäglichen Strapazen bebildert, ohne in Bitterkeit zu verfallen.

Diese Notwendigkeit, immerzu zu kämpfen, ist es wahrscheinlich auch, die der Ehe von Nadine und Paul zum Verhängnis zu werden droht; weshalb Nadine sich von ihrem Ehemann entfremdet. Wie „Alle die Du bist“ auf einer zweiten narrativen Ebene in traumartigen Rückblenden nahelegt, ist es allerdings auch diese gemeinsame Erfahrung, immerzu kämpfen zu müssen, das gegenseitige Stütze-Sein, was sie erst zusammenbrachte.

Am Ende wird ein Satz stehen, der erneut mehr als alles andere Sinnbild ist. Eines, das voller Möglichkeiten steckt, ohne die Realität zu verklären. „Alle die Du bist“ entlässt so als außergewöhnliches Beziehungsdrama, das gleichsam wohltuend ätherisch und weltentrückt wirkt und dabei doch aus der Fülle des Lebens schöpft.

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