Studie zum Effekt von Lichtverschmutzung: Licht nervt Muscheln
Wenn es unter Wasser ständig hell ist, wird die Biodiversität geschädigt. Das Kieler Geomar-Helmholtz-Zentrum hat dazu eine Studie veröffentlicht.
Acht Teams aus je zwei Studierenden werden in den kommenden Monaten auf den Kapverdischen Inseln, in Finnland, Japan, Kroatien, Malaysia, Portugal, Spanien und Wales parallele Experimente starten. Die Forschungsreihe ist Teil des Ausbildungsprogramms „Globaler Ansatz durch Modulare Experimente“ (Game) am Kieler Geomar. Im Mittelpunkt der diesjährigen Arbeit steht die Frage, ob und wie Meeresalgen von nächtlichem Kunstlicht beeinflusst werden. Daraus ergeben sich Folgefragen: Setzen sich die Effekte im Nahrungsnetz fort? Gibt es einen Einfluss auf den Menschen?
„Von Landpflanzen ist bereits bekannt, dass nächtliches Kunstlicht sie beeinträchtigen kann. In den flachen Küstenmeeren übernehmen mehrzellige Algen, deren größte Vertreterinnen ganze Unterwasserwälder bilden können, ähnliche Funktionen wie die höheren Pflanzen an Land. Bislang gibt es aber noch keine Untersuchungen dazu, wie sich nächtliches Kunstlicht auf diese Organismen auswirkt“, so steht es in einer Pressemitteilung des Geomar.
Lichtquellen sind „Straßenlaternen über die Beleuchtung in Häfen, an Gebäuden, in Aquakulturanlagen bis zu Schiffen und Bohrinseln auf hoher See“, sagte Mark Lenz, wissenschaftlicher Koordinator des Game-Programms, der taz kürzlich in einem Interview. Bis in zehn Meter Tiefe sei der Einfluss noch spürbar, rund 25 Prozent der Küsten weltweit seien betroffen.
Für das Experiment werden Algen im Labor teils im natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus gehalten, teils unter Lichtstress gesetzt. In einige Becken setzen die Studierenden Schnecken und Seeigel, die sich von Algen ernähren. Dabei interessiert die Forschenden, ob die beweideten Algen eine chemische Verteidigung gegen Fraß aufbauen und ob diese Fähigkeit durch das nächtliche Kunstlicht beeinträchtigt wird.
Die aktuelle Studie baut auf früheren Game-Jahrgängen auf. Studierende untersuchten seinerzeit, wie das Verhalten von Schnecken und Seeigeln durch Kunstlicht beeinflusst wird, schauten sich die Filtrationsleistung von Muscheln an und widmeten sich wirbellosen Wesen wie Seepocken und Manteltieren. Bisherige Ergebnisse zeigten „deutliche Einflüsse“ des Kunstlichts, so Studienleiter Lenz. Tagaktive Arten bleiben länger wach, nachtaktive haben wegen des Lichts weniger Zeit zum Fressen. Da sich einige Arten unter Licht besser vermehren als andere, nimmt die Vielfalt unter Wasser ab.
Diese Ergebnisse decken sich mit den Studien über Pflanzen und Tiere an Land. Eine Sammlung solcher Studien lieferte die Universität Jena im Oktober vorigen Jahres. Demnach wirkt sich Kunstlicht sogar auf unterirdische Gemeinschaften aus, beeinflusst die Bodenatmung und die Effizienz der Kohlenstoffnutzung.
Insekten sterben durch Licht – weil sie wie gefangen um eine Laterne kreisen, aber auch, weil ihre Fressfeinde nachts auf die Jagd gehen und sie nun sehen können. Das Wachstum von Pflanzen wird gestört, es kommt laut Uni Jena zu einer Verringerung von Biomasse und Diversität.
Die Lichtverschmutzung nimmt stetig zu. Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) kam in einer 2020 präsentierten Untersuchung zu dem Ergebnis, dass weltweit sowohl die Größe der beleuchteten Flächen als auch die Intensität des Lichts jährlich um je zwei Prozent zunehmen. Dabei holen Länder in Afrika, Südamerika und Asien auf. Deutschland ist bereits „hell erleuchtet“, heißt es in der Stellungnahme des TAB.
Besonders lichtstark sind Bayern und Schleswig-Holstein
Besonders lichtstark sind Bayern und Schleswig-Holstein. Die LED-Lampen, die als energiesparend gelten, helfen nicht gegen die Lichtverschmutzung, im Gegenteil, so das TAB: „Das kurzwellige blaue Lichtspektrum der LED steht im Verdacht, humanmedizinisch und ökologisch nachteilige Wirkungen zu erzeugen. Zudem führt die kostengünstige Verfügbarkeit der energieverbrauchsarmen LED zur immer weitergehenden Nutzung.“
Die Ideen des TAB, wie sich die Lichtflut eindämmen ließe, bleiben allerdings vage. So könnten etwa die Kommunen Lichtsatzungen erlassen, öffentliche Debatten geführt werden und Wettbewerbe Ideen zur „nachhaltigen Beleuchtung“ fördern. Der Deutsche Bundestag überwies den Bericht ohne Beratung in die Ausschüsse.
Das neue Projekt am Geomar-Helmholtz-Zentrum läuft noch bis Ende Dezember dieses Jahres. Bewerbungen für den Game-Jahrgang 2025 sind ab sofort möglich. Die Forschungen werden zu einem großen Teil durch die Klaus-Tschira-Stiftung finanziert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“