Schlagermove in Hamburg: Hossa!

Der Schlagermove ist Hamburgs eigener Karneval. Ziel ist eine friedlich alkoholisierte Massenparty. Kann das klappen? Eine Nahbetrachtung.

Tausende Menschen schauen beim Schlagermove den Trucks auf dem Weg durch St. Pauli zu oder folgen ihnen

Mit dem Schlager unterwegs durch St. Pauli: die Massen beim Schlagermove Foto: Georg Wendt/dpa

HAMBURG taz | Im Grundsatz ist es einfach: Köln hat den Karneval, München hat das Oktoberfest, Hamburg hat den Schlagermove. Die Menschen kommen zu Tausenden, verkleiden sich, betrinken sich, tanzen. In Köln passiert das im Winter, und beim Verkleiden herrscht Narrenfreiheit. In München feiert man im Herbst und verkleidet wird sich in dem stilistisch schmalen Korridor der Tracht. In Hamburg ist der Schlagermove alljährlich an einem Tag im Sommer, und alle tragen Schlagerklamotten.

Dieses Jahr wurde der Move wegen der Fußball-EM in den Mai vorverlegt, wichtiger als Fußball ist er dann doch nicht. Außerdem gelang es dem Schlagermove nicht, an der Causa Sylt vorbeizukommen. Einen Tag vor dem Move startete die Berichterstattung über junge Fascho-Schnösel, die in einem Sylter Schickimickiladen rassistische Parolen zu Gigi D'Agostinos Schlager „L’amour toujours“ gegrölt hatten. Dazu zeigten sie den Hitlergruß.

Beim Schlagermove ist laut Augenzeugen das Gleiche passiert – nur ohne Schickimicki und ziemlich kurz, die Veranstalter berichten von 28 Sekunden, die der Song auf der Playlist des Truck-DJs verzeichnet sei. Rund 50 Leuten hätten um 17.38 Uhr „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ mitgegrölt, dazu hätten acht junge Männer den Hitlergruß gezeigt. So erzählte es der Moderator von „Radio Fischmarkt“ dem Hamburger Abendblatt. Nun ermittelt der Staatsschutz und die Polizei sucht Zeug*innen. Die Veranstalter distanzieren sich heftig. Den Be­su­che­r*in­nen möchte man unterstellen: Sie würden sich zu einem großen Großteil auch distanzieren, wenn man sie fragen könnte. Kann man aber nicht. Man kann sich nur erinnern an den Schlagerfan, der zwei Stunden vor dem Vorfall ein Schild hochhielt auf dem stand: „FCK Sylt!“

Rund 400.000 Menschen waren laut Veranstalter auf den Straßen von St. Pauli unterwegs, und was sie eint, das ist das Verkleiden. In der U-Bahn vom Stadtrand nach St. Pauli grüßen sich einander fremde Verkleidete mit „Hossa!“. Es ist ein Verkleiden, das einerseits zweifelsfrei Zugehörigkeit signalisiert, andererseits Spielraum für Individuelles lässt. Es ist das gleiche Konzept wie das der Pizza im Bereich der Kulinarik. Wenn es jemand erfunden hätte, man würde sagen: genial.

Aber das Schlager-Outfit hat niemand erfunden, es hat sich im Lauf der Jahre entwickelt: Im Kern ist es eine Parodie auf die Kleidung von Schlager- und Discostars der 60er und 70er Jahre. Die Bad-Taste-Partys der 80er kommen als Katalysator hinzu. Und sicher auch der Internethandel: Schlagerklamotten gibt es für kleines Geld in großer Auswahl zu bestellen. 100 Prozent Polyester, made in China.

Und dann versuchen alle, möglichst bescheuert auszusehen. Es gilt: Je größer die Geschmacksverirrung, desto größer die Liebe zur Sache. Diese allseits gelebte Ironie erhöht die Anschlussfähigkeit auch für jene, die Schlager zum Davonlaufen finden.

Fransen-Hippies mit Plateauschuhen

Tatsächlich gibt es viel zu sehen. Männer, deren Kopf nach Bankangestelltem aussieht, tragen vom Brustbein abwärts hautengen, synthetisch gefärbten Catsuit. Frauen, die im Alltag Dauerwelle und Beige bevorzugen dürften, erscheinen als Fransen-Hippies mit psychedelisch gemusterten Oberteilen. Viele Menschen kommen mit Plateauschuhen, schlecht sitzenden Perücken und überdimensionalen Brillen. Es gibt Blumen und Peace-Zeichen überall. Viel Glitzer-Schminke im Gesicht. Hawaiiketten in schreienden Farben. Und viele bunte Getränke in schmalen Dosen – auch das in einer Vielfalt, die überrascht.

Keineswegs erschließt sich bei oberflächlicher Betrachtung, was drin ist in den bunten Dosen. Klar ist nur, dass es sich nicht um Saftschorle handelt. Eher alle möglichen Spielarten von Sektschorle, verpackt in damenhaft vornehmen Pastellfarben.

Generell ist es so, dass der Schlagermove etwas Damenhaftes hat. Die Frauen sind so in der Mehrzahl, wie bei der Aufstiegsfeier des FC St. Pauli eine Woche vorher die Männer in der Mehrzahl waren. Altersmäßig liegt ein Schwerpunkt im Bereich Ü45.

In der Summe ergibt das eine grundsätzlich angenehme Atmosphäre: Die Ü45-Frauen können in der Regel gut mit Alkohol umgehen, besser als die Jungen und besser als die Männer, von denen vor allem die heterosexuellen betrunken auf offener Straße zur Affigkeit neigen. Drei Oberaffen kamen laut Polizei auf die Idee, in aller Öffentlichkeit nackt Frauen anzutanzen. Tatzeit gegen 16.30 Uhr. Die Polizei schritt ein und die Männer zogen ihre Hosen, die sie durchaus dabeihatten, wieder an.

Tanzend hinter den Trucks

Im Wesentlichen geht es beim Schlagermove darum, dass 49 Trucks, auf denen Menschen aus dem deutschsprachigen Raum stehen (unter anderem Winsen (Luhe), Duisburg, Kitzbühel), langsam von Hamburgs zentralem Rummelplatz auf St. Pauli, dem Heiligengeistfeld, runter zur Elbe, dann auf die Reeperbahn und zurück zum Heiligengeistfeld fahren. Auf jedem Truck gibt es ein Dixi-Klo, einen DJ und eine Anlage, aus der Musik dröhnt.

Die Trucks fahren in einigem Abstand, und die Menschen gehen­ tanzend hinter den Trucks her. Es wird viel gewunken, von den Trucks runter zu den Leuten am Straßenrand und umgekehrt. Ein Truck ist barrierefrei für Rollstuhlstuhlfahrer*innen. Alles ist sehr kommunikativ. Immer wieder gibt es Stopps.

Bei einem davon, mitten auf der Reeperbahn, wird klar, wie der Schlagermove tickt. Der DJ nimmt das Mikro und ruft: „Wir gratulieren dem FC St. Pauli zum Aufstieg in die erste Bundesliga!“ Dann spielt er die Hymne der HSV-Fans „Hamburg, meine Perle“. Alle singen mit, alles bleibt friedlich. So will er sein, der Schlagermove: Eine Veranstaltung für HSV-Fans, deren Herz groß genug ist, dem FC St. Pauli zum Aufstieg zu gratulieren.

Das Trinken führt zu einem Problem, das den Schlagermove fast schon aus der Stadt vertrieben hätte: Wildpinkelei. St. Paulis Be­woh­ne­r*in­nen fühlten sich im Wortsinn angpisst von der seit 1997 abgehaltenen Veranstaltung, so sehr, dass hart debattiert wurde über ein Verbot oder eine Verlegung in einen anderen Stadtteil.

Viele Pis­se­r*in­nen und viel Geld

Weil aber mit den vielen Pis­se­r*in­nen auch viel Geld nach St. Pauli kommt, haben sich die Be­für­wor­te­r*in­nen des Schlagermove durchsetzen können.

Die Veranstalter versuchen, das Problem klein zu halten, indem sie rund 500 Dixi-Klos aufstellen. Und auf ihrer Website so politisch korrekte Sätze formulieren wie: „Zum Wohle der Anwohner St. Paulis positioniert sich der Schlagermove klar gegen­ das Wildpinkeln im gesamten Stadtteil.“

Das mit der Musik ist übrigens nicht so schlimm wie befürchtet. Natürlich kommen die 70er-Klassiker wie „Ein Bett im Kornfeld“, „Fiesta Mexicana“ und „Er gehört zu mir“, allerdings nicht in Dauerschleife und in der Regel als Remix-Version mit neuem Beat. Das macht es einfacher mitzuwippen, ohne den Schmalz an sich ranzulassen. Daneben gibt es viel Neue Deutsche Welle, also Songs, die in den 80ern alles, bloß kein Schlager sein wollten und doch Schlager geworden sind. „Völlig losgelöst …“, „Hurra, hurra, die Schule brennt“ und dann natürlich „Tausendmal berührt“.

Erfreulich selten gibt es Ballermann-Beiträge, bei denen Oberweiten und Beischlafbereitschaft besungen werden. Der Song „Layla“ zum Beispiel war 2022 meistgespielter Song auf dem Oktoberfest und hatte eine Sexismusdebatte ausgelöst. Die Schlagermove-Veranstalter hatten die Truckbetreiber vorab wissen lassen, dass Ballermann-Musik nicht erwünscht sei. Die DJs halten sich größtenteils daran.

Die integrative Kraft an ihren Grenzen

Trotz aller musikalischen Abweichungen, der Kern des Schlagermoves sind der deutsche Schlager und alkoholische Getränke, und das bedeutet auch: Menschen mit Migrationshintergrund bleiben dieser Veranstaltung fern. Die integrative Kraft des Schlagers kommt hier an ihre Grenzen.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Zwar gab es in den 70er-Jahre etliche nichtbiodeutsche Schlagerstars wie Roberto Blanco oder Bata Illic in den hiesigen Hitparaden, in den migrantischen Communitys hat das aber keine Spuren hinterlassen. Nichtbiodeutsche Schlagerfans kann man beim Schlagermove an einer Hand abzählen.

Bata Illic ist dann einer der wenigen live auftretenden Sän­ge­r*in­nen einer ansonsten von Festplatten beschallten Veranstaltung. Er singt in einem Zelt auf dem Heiligengeistfeld, auch hier kommt die Musik von der Festplatte, aber immerhin steht mal jemand auf einer Bühne.

Illics Auftritt gehört zur Aftermove-Party: Die findet statt in einem abgesperrten Areal mit zwei Musikzelten, dazwischen Fressbuden und Bierzeltgarnituren. 25 Euro an der Abendkasse kostet das Ganze, und die drei Jungs aus Bargteheide im Hamburger Umland sind unzufrieden mit ihrer Investition. „Draußen ist es auch nicht anders“, sagt der eine. Und der andere: „Die wirklich coolen Leute sind draußen.“

Tatsächlich stehen vor dem Partyareal auf dem Heiligengeistfeld noch zwei, drei Trucks, die Musik läuft, die Leute tanzen, am Bierstand ist wenig los, an den umliegenden Kiosken umso mehr.

Die Schlagergemeinde zerfällt jetzt langsam. Die Sekt­schor­le­trin­ke­r*in­nen steigen in die Bahn nach Hause, die Jungen gehen irgendwann rüber auf den Kiez, mischen sich mit Junggesell*innenabschieden, Hundepunks, Musicaltourist*in­nen und den vielen unverkleideten Karnevalist*innen, für die ­jedes Wochenende Schlagermove ist, solange der Pegel stimmt.

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