Nürnberger Verkehrswende am Scheidepunkt: Vision eines Stadtkanals

Der schmale Leiblsteg überquert den Frankenschnellweg. Dort, wo heute noch Autos donnern, könnte eines Tages der Nürnberg-Fürther Stadtkanal sein.

Illustration einer Stadt, im Kanal schimmt ein Auto

Eine ­Wasserstraße wartet auf ihre Wieder­belebung Foto: Jeong Hwa Min

NÜRNBERG taz | Ein mächtiges Rauschen ist zu hören, wenn man frühabends auf dem schmalen Leiblsteg steht. Rund neun Meter tiefer rollt vierspurig der Autoverkehr, im Minutentakt reichern direkt daneben auf vier Schienensträngen Züge die Geräuschkulisse an. Wenn dann dicke Lastwagen und Güterzüge zeitgleich die Fußgängerbrücke passieren, schwillt das nervige Rauschkonzert mit dröhnendem Fortissimo an.

Los ging es mit dem Lärm 1967, als hier im Schatten des Quelle-Turms in Nürnberg der erste Abschnitt des Frankenschnellwegs eröffnet wurde. Es entstand eine Stadtautobahn, die den Nürnberger Westen massiv durchschneidet. Die Namen betroffener Stadtteile wie Eberhardshof und Höfen signalisieren, dass hier einmal Ackerbau dominierte. Sandsteingebäude auf beiden Seiten erinnern heute noch an die Zeit der Bauernhöfe.

Wasser einst, wo heute Straße ist

Die Besonderheit

Auf dem schmalen Leiblsteg schwebt man gehend über den Dingen. Und sieht unten die Folgen einer vermeintlich autogerechten Stadtplanung. Meistens sitzt nur ein Mensch in den Autos, die von den Zügen überholt werden. Das sollte nachdenklich stimmen!

Das Zielpublikum

Der Steg bietet für alle zu Fuß einen netten Schleichweg über Bahngleise und Stadtautobahn. Er wäre auch gut geeignet, um dort die Pläne für die Renaissance des Stadtkanals vorzustellen. Könnte Appetit auf eine Zeitenwende bei der Verkehrspolitik machen.

Hindernisse auf dem Weg

Die meisten Stadträte und die Stadtverwaltung wollen sich bisher nicht vom Stadtautobahnausbau verabschieden. Also muss mal Markus Söder voran, eine Kehrtwende vollziehen und den Stadtkanal propagieren.

Aber bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich das Ortsbild geändert, als mit dem alten Ludwigskanal eine Verbindung zwischen Main und Donau geschaffen wurde. Ein vergleichsweise beschauliches Bauwerk, das Schiffe ab 1950 nicht mehr nutzten. Während die Wasserstraße südlich der Nürnberger Gartenstadt und nördlich von Erlangen erhalten blieb und zur Freizeit­oase wurde, schüttete man sie im Ballungsraum zu. Auf der Kanaltrasse bekam der motorisierte Verkehr eine Pendlerpiste, um schneller nach und durch Nürnberg zu kommen.

Ein Wunschdenken, das von der Wirklichkeit überrollt wurde. Immer mehr Autos sorgten für Dauerstaus, weil auf der autobahnähnlichen Trasse ein Straßenabschnitt mit drei Ampeln geblieben war. Vom 130 Meter langen Leiblsteg lassen sich die Auswirkungen gut beobachten. Im Rhythmus der Ampeln werden stetig neue Fahrzeug­ströme westwärts ausgespuckt, während Bremslichter ein rotes Band stadteinwärts bilden. Als Vorbote der nahenden Staufalle.

Gegen den Verkehrslärm installierte man auf der Bahnseite graue Schallschutzwände, während neben der Straße grün umrankte Betonzylinder Spalier stehen, deren Dämmwirkung für die Anwohner allerdings eher gering ist. Ein Grund, warum die Stadt ein dickes Ausbaupaket geschnürt hat, zu dem acht Meter hohe Lärmschutzwände gehören.

Seit gut 15 Jahren wird über das Großprojekt gestritten, das auch einen Tunnel wie beim Mittleren Ring in München vorsieht. Im April 2024 hat der bayerische Verwaltungsgerichtshof die Klage der Kritiker gegen den Planfeststellungsbeschluss abgewiesen. Der Bund Naturschutz will nun die Urteilsbegründung abwarten, bevor über eine Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht entschieden wird.

Angesichts der allseits geforderten Verkehrswende stellt sich doch die Frage, ob so ein Frankenschnellweg-Ausbau nicht aus der Zeit gefallen ist. Zumal die Kosten längst von prognostizierten 200 Millionen Euro in Richtung einer Milliarde gestiegen sind. Die Kommune aber will das Projekt nicht beerdigen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat zugesagt, 80 Prozent der Kosten aus dem Etat des Freistaats zu übernehmen.

Wegen des schwebenden Verfahrens ist ein baldiger Baubeginn unrealistisch. So wäre es an der Zeit, dass die Stadtverwaltung eine klimafreundliche Alternative untersucht, die eine Renaissance des Wasserwegs vorsieht. Die hat der Verein Nürnberg-Fürther Stadtkanal (NFSK) vor vier Jahren ins Gespräch gebracht und dafür 2021 sogar einen Panterpreis der taz-Leser:innen erhalten.

Ausflugsboote statt Autos

Der Charme des neuen Stadtkanals: Die Züge würden weiter wie bisher fahren, auf der jetzigen Asphaltpiste aber wären Ausflugsboote unterwegs. Es gäbe viel Grün samt Kleingärten, einen Fahrradschnellweg und Raum zum Flanieren sowie eine zusätzliche Frischluftschneise, während der Autoverkehr durch intelligente Maßnahmen deutlich reduziert und umgeleitet wird.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Doch der NFSK hat erst 136 Mitglieder, was noch nicht für so eine breite Volksbewegung wie im holländischen Utrecht spricht. Dort hatte schon 2001 ein Bürgerentscheid zum Aus für die Stadtautobahn und den Neustart zum Stadtkanal geführt, der 2021 vollendet wurde.

Nach zwei Stadtkanalkongressen ist in Nürnberg allen bewusst, dass ein langer Atem und Allianzen nötig sind, um die Idee für einen klimagerechten Stadtumbau mehrheitsfähig zu machen. Wegweisend könnte ein Volksfest sein, das am 6. Juli auf einem gesperrten Teilstück des Frankenschnellwegs stattfindet, während sechs Kilometer entfernt das Norisring-Autorennen über die Bühne geht.

Am Leiblsteg wird sich der Lärm da mal in Grenzen halten, die Fußgänger können von berauschenden Aussichten für eine Verkehrswende träumen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.