Gesuchte Linksautonome über Verfolgung: „Die Strategie wird nicht aufgehen“

2023 sollen Autonome bei einem Nazi-Marsch in Ungarn rechte Teilnehmer attackiert haben. Warum sie sich nicht stellen, sagt eine von ihnen im Gespräch.

Menschengruppe mit einem Schild "Free Hanna" steht vor einer Gefängnismauer

„Free Hanna“: Wenige Tage nach der Festnahme von Hanna S. am 6. Mai kam es zu einer Solidaritätsdemo vor der JVA in Nürnberg Foto: Daniel Karmann/dpa

Sie sind weg: Seit über einem Jahr sind zehn An­ti­fa­schis­t*in­nen auf der Flucht. Die ungarische Justiz wirft ihnen vor, 2023 gezielt Rechtsextreme am Rande eines von diesen organisierten Gedenkmarschs in Budapest angegriffen und verletzt zu haben. Ihnen droht die Auslieferung nach Ungarn. Auch der sich im Untergrund befindlichen Aktivistin Lena Berg (Name geändert). Die 22-Jährige sprach mit der taz.

taz: Frau Berg, Sie werden seit über einem Jahr gesucht. Wann wollen Sie sich stellen?

Lena Berg: Unser gewohntes Leben hinter uns zu lassen und in die Illegalität oder ins Exil zu gehen ist nichts, wofür wir uns leichtfertig entschieden haben. Aber mit der Perspektive eines Schauprozesses in Ungarn unter Orbán, wo Justiz und Medien politisch gesteuert sind, Geflüchteten und Oppositionellen das Leben zur Hölle gemacht wird, erschien diese Entscheidung unumgänglich. Von den dortigen Haftbedingungen ganz zu schweigen.

Am 7. Mai wurde in Nürnberg die gesuchte Hanna S. festgenommen. Machen Sie sich Sorgen, dass Sie sich auf Dauer einem Verfahren nicht entziehen werden können?

Hanna hat überhaupt nicht versucht, sich einem Verfahren zu entziehen. Sie wohnte ganz normal an ihrer Meldeadresse, ging arbeiten und studierte. Trotz eines vollkommen geregelten Lebens mit festem sozialen und familiären Umfeld wurde bei ihr nun eine Fluchtgefahr konstruiert, um sie in U-Haft zu nehmen.

Seit März hat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen. Besteht weiterhin die Möglichkeit einer Auslieferung nach Ungarn?

Die Behörden spielen gezielt mit der Möglichkeit einer Auslieferung, um Druck auf uns auszuüben. Ob dahinter die Hoffnung auf einen Kronzeugen steht oder es den Ermittlern lediglich darum geht, Härte zu zeigen, wissen wir nicht. Das Vorgehen zeigt aber, wie ernst Teile der Behörden ihre eigene Definition eines Rechtsstaats nehmen: Wenn es ihnen nützt, sehen sie kein Problem darin, An­ti­fa­schis­t:in­nen an ein Land auszuliefern, das selbst vom EU-Parlament als Autokratie betrachtet wird.

Die Bilder von der italienischen Aktivistin Ilaria Salis, die ebenfalls an dem Angriff beteiligt gewesen sein soll, gingen um die Welt. In Ketten saß Sie in einem ungarischen Gerichtssaal. Jetzt wurde sie gegen eine Kaution auf freien Fuß gesetzt und tritt als Kandidatin fürs Europaparlament an. Haben Sie Zweifel, dass Sie in Budapest ein neutrales Verfahren erwarten können?

Die ungarischen Medien und die Regierung haben den Kontext der Vorwürfe gezielt entpolitisiert: In ihrer Darstellung sind wir von Brüssel entsandte Hooligans, die unbescholtene Wanderer angegriffen haben sollen. Anstatt darüber zu reden, wie es sein kann, dass, 79 Jahre nachdem weit über eine halbe Million Juden, Sinti und Roma auch mithilfe der ungarischen Bevölkerung ermordet wurden, massenhaft Neonazis durch Budapest ziehen, um diese Verbrechen zu glorifizieren, werden die Organisatoren mit riesigen Summen staatlich gefördert und bekommen das ungarische Ehrenkreuz angesteckt.

Welches Strafmaß erwartet Sie? Die Eltern einer Gesuchten sprachen gegenüber der taz von einer angedrohten Haft von 24 Jahren.

Das Strafmaß, das uns droht, beträgt bis zu 24 Jahre im sogenannten „Zuchthaus“, der härtesten ungarischen Strafvollzugsform. Für Ilaria wurden 16 Jahre gefordert, bereits vor Monaten erklärte der ungarische Außenminister sie in Interviews für schuldig. Währenddessen wurden 2023 durch die ungarische Staatspräsidentin mehrere Rechtsterroristen begnadigt. Das ist sinnbildlich für die politischen Verhältnisse in Ungarn.

Ein Mitarbeiter des Ungarischen Helsinki-Komitees, einer Menschenrechtsorganisation, die sich für die Hilfe von Geflüchteten und Häftlingen einsetzt, bewertet die Haftbedingungen als eine Grundrechtsverletzung.

Dass Gefangene in Ungarn aus Angst vor Konsequenzen häufig gar nicht oder erst nach ihrer Entlassung von den Zuständen in Haft berichten, spricht schon für sich. Die deutschen Behörden nutzen die harten Haftbedingungen gezielt als Druckmittel. Zum Beispiel wurde Tobi (ein bereits in Ungarn im Zusammenhang mit dem Angrif verurteilter Aktivist; d. Red.) „Zeugenschutz“ angeboten und gesagt, man könne ihm „helfen“, wenn er mit dem LKA kooperiert. Er hat dieses perfide Angebot entschieden abgelehnt. Übrigens hat die italienische Justiz die Auslieferung von einem italienischen Antifaschisten auch wegen der ungarischen Haftbedingungen­ verweigert.

Hat Ihnen die Bundesanwaltschaft eine Option angeboten, sich zu stellen?

Viele von uns haben signalisiert, sich zu stellen, wenn es keine Auslieferungen gibt. Darauf gab es bisher keine Reaktion. Wir haben deshalb den Eindruck, die Bundesanwaltschaft hat gar kein Interesse daran, dass sich Leute stellen. Im Gegenteil, sie hat sehr deutlich gemacht, dass sie dem Willen der ungarischen Behörden nicht im Weg stehen will und einer Auslieferung aus ihrer Sicht stattgegeben werden könne. Das Narrativ von „gefährlichen Linksextremen im Untergrund“ eignet sich bestens für eine mediale Stimmungsmache und Diffamierung gegen Antifaschist:innen. Dabei fallen vor allem zwei Erzählungen auf, die ständig wiederholt werden.

Welche sind das?

Die große Gefahr für die Gesellschaft, die von uns ausgehe, sowie die Behauptung einer angeblichen Gewaltspirale, welche durch militanten Antifaschismus befeuert werde. Der sächsische Innenminister ging sogar so weit, uns mit dem NSU oder den Tätern des Anschlags vom 11. September zu vergleichen. Mit der demonstrativen Härte gegen uns wird auch versucht, allgemein von antifaschistischer Praxis abzuschrecken. Antifaschismus derart zu delegitimieren ist immer auch ein Mittel, um der anderen Seite – ob gewollt oder ungewollt – politisch den Rücken zu stärken.

Ist es richtig, dass Ihnen signalisiert wurde, mit einem Geständnis eine Auslieferung vermeiden zu können?

Diesen Vorschlag hatte die ursprünglich ermittelnde Staatsanwaltschaft gemacht, mittlerweile hat aber die Bundesanwaltschaft das Verfahren übernommen. Dass wir An­ti­fa­schis­t:in­nen sind, gestehen wir gerne an dieser Stelle – allerdings ist das vermutlich nicht, was sich die Behörden vorgestellt haben.

Wie stark ist der Druck der deutschen Behörden gegen Ihre Familien und Freunde?

Es gab circa 20 Hausdurchsuchungen, mehrere SEK-Einsätze und zahlreiche Observationen, etliche geöffnete Briefe und abgehörte Telefonate. Die letzten Monate über haben unsere Familien und Freun­d:in­nen unzählige Male unerwünschten Besuch von Polizei und Verfassungsschutz bekommen. In all den Anquatschversuchen wurde unseren Angehörigen deutlich gemacht, dass sie beziehungsweise wir doch mit den Behörden kooperieren sollten, um nicht nach Ungarn ausgeliefert zu werden. Doch die Strategie der Behörden, uns zu spalten und zu isolieren, wird nicht aufgehen. Egal, ob mit Auslieferung oder ohne, ob in Haft oder Illegalität. Wir möchten die Gelegenheit noch nutzen, um Danke zu sagen. Für all die Unterstützung und Solidarität, die uns in den letzten Monaten erreicht hat. Und an alle Menschen, die diesen Weg mit uns gemeinsam gehen.

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