Kommunalwahl in Brandenburg: Hier kennt man keine Parteien mehr

Im brandenburgischen Lieberose kandidiert bei der Kommunalwahl am 9. Juni keine Partei mehr. Bringen Bürgerlisten Schwung in die Kommunal­politik?

Stadtbild von Lieberose mit dem alten Rathaus

Ein brandenburgisches Kleinod: Lieberose mit Blick auf das alte Rathaus Foto: zoonar/imago

LIEBEROSE taz | Die Frage, wer in Lieberose Bürgermeisterin wird, entscheidet sich am Marktplatz des Landstädtchens im Südosten Brandenburgs. Am Markt 6 betreibt Amtsinhaberin Petra Dreißig ein Café und eine Bäckerei. Ein paar Häuser weiter befindet sich am Markt 12 der Blumenladen von Kerstin Michelchen. Sie ist die Herausforderin und Vorgängerin von Dreißig.

Eine Illustration. Mehrere Kreise sind mit Strichen miteinander verbunden. Die Kreise haben unterschiedliche größen und Farben. Sie sind rot, gelb, grün und Blau.

Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Wahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier in diesem Jahr auf dem Spiel steht.

Diese Nähe der beiden Kandidatinnen ist es allerdings nicht, die Lieberose über Brandenburg hinaus bekannt gemacht hat. Es ist die Tatsache, dass zur Kommunalwahl am 9. Juni keine einzige Partei mehr antritt. „Von den Parteien ist keiner mehr da, da will sich niemand die Hosen anziehen“, sagt Kerstin Michelchen, die für das „Bündnis Freie Liste Lieberose“ antritt. Petra Dreißig formuliert es diplomatischer. „Den Parteien fehlt die Bürgernähe.“

Das 1.500 Menschen zählende Lieberose ist ein Kleinod. Auf dem Marktplatz sind neben Café und Blumenladen das Rathaus und die hübsche Wendische Kirche ein Augenfang. Es gibt ein barockes Schloss samt Park und der von der Stadt als Veranstaltungsort genutzten ehemaligen Samendarre. Richtung Cottbus erstreckt sich auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz das „wilde Herz der Lausitz“. Zu dieser „Naturwelt Lieberoser Heide“ gehört nicht nur Deutschlands größte Sandwüste, sondern auch der „Urwald von morgen“, ein Pionierwald, der ohne Eingriff des Menschen wachsen darf.

Odett Arnold kann aus dem Stand weitere Sehenswürdigkeiten nennen. „Wunderschön ist die eiszeitlich geprägte Hügellandschaft“, sagt die in Lieberose geborene Tourismusexpertin. „Auf dem Heideradweg können Sie von der Lieberoser Heide bis ins Schlaubetal radeln, und vielleicht gibt es bald auch einen Skywalk zur Lieberoser Wüste“. 25 Millionen Euro hat das Land Brandenburg für die touristische Erschließung des Truppenübungsplatzes und den Bau eines Erlebniszentrums locker gemacht. Das Geld stammt aus den Mitteln für ehemalige Bergbauregionen. Auch ein Kompetenzzentrum des Landesforsts zum Thema Waldbrandbekämpfung soll in das Gebäude. Doch ob alles so kommt, steht in den Sternen.

Kommunalwahlen

Noch vor den Landtagswahlen am 22. September finden in Brandenburg am 9. Juni Kommunalwahlen statt. Gewählt werden neben den 14 Kreistagen und den Stadtverordnetenversammlungen der kreisfreien Städte Potsdam, Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenburg an der Havel auch 408 Gemeindevertretungen und weitere SVV sowie 271 ehrenamtliche BürgermeisterInnen und 344 OrtsvorsteherInnen. Wahlberechtigt sind 2,1 Millionen Brandenburgerinnen und Brandenburger. Weitere Informationen gibt es bei der Landeszentrale für politische Bildung.

Wahlen vor fünf Jahren

2019 gewann die CDU die Kommunalwahlen mit 18,3 Prozent, gefolgt von der SPD mit 17,7 Prozent. Die AfD kam auf 15,9, die Linke auf 14,1 und die Grünen auf 11,1 Prozent.

Wahlen in Lieberose

Hier treten keine Parteien, sondern drei Listen an. Bei „Aufbruch neue Zeit“ kandidiert die ehrenamtliche Bürgermeisterin Petra Dreißig, für die „Freie Liste Lieberose“ Kerstin Michelchen. Die Liste „Bündnis Zukunft Lieberose“ stellt keine Kandidatin für das Bürgermeisteramt auf. (wera)

Ideen und Enttäuschungen

Bürgermeisterin Petra Dreißig weiß, dass es in Lieberose schon viele Ideen, aber auch zahlreiche Enttäuschungen gegeben hat. Den vorerst letzten Rückschlag hat sie selbst miterlebt. Als Ende April der Bebauungsplan für die touristische Nutzung der Wüste auf­gestellt werden sollte, war die ­Stadtverordnetenversammlung (SVV) nicht beschlussfähig. Dabei war das Interesse riesig. „Sechzig Leute waren in den Versammlungsraum der Darre ­ge­kommen“, sagt Dreißig. „Was soll man in so einem Augenblick ­machen?“

An den Parteien lag es nicht, dass nur fünf der zehn Verordneten gekommen waren – erst mit sechs hätte der Bebauungsplan aufgestellt werden können. „Der einzige Vertreter der Linken ist bereits gestorben“, sagt die 48-Jährige, die am 9. Juni für die Liste „Aufbruch neue Zeit“ kandidiert. Bürgermeisterin war sie 2019 für die „Freie Liste Lieberose“ geworden. Die aber tritt nun nicht mehr an. Weil ein anderer Verordneter seit drei Jahren nicht mehr kommt und drei andere sich kurzfristig krank meldeten, stand Petra Dreßig mit leeren Händen da.

Die Bürgermeisterin eröffnete die Sitzung der Stadtverordneten dennoch, sie wollte die Anwesenden wenigstens über den Stand der Planungen informieren. „Die Naturwelt ist wichtig für Lieberose“, sagt Dreißig.

Der wirtschaftliche Aufschwung, der Brandenburg inzwischen zu einem der dynamischsten Wirtschaftsstandorte in Deutschland gemacht hat, ist an Lieberose bislang vorbeigegangen. Statt der guten häuften sich zuletzt die schlechten Nachrichten.

Das Restaurant in der Darre, wo sich die SVV trifft, hat keinen Pächter mehr, und der Berliner Augenarzt, an den die Brandenburger Schlösserstiftung das Schloss verkauft hat, hat das wichtige Festival zeitgenössischer Kunst, den „Rohkunstbau“, dort vergrault. Nun kommen keine Kunsttouristen mehr aus Berlin, Cottbus oder Dresden. Das Schloss steht leer, der Augenarzt will es zum Hochzeithotel umbauen lassen.

Einer, der sich sehr für eine andere Nutzung eingesetzt hat, ist Dieter Klaue. Sein „Förderverein Lieberose“ hat an markanten Gebäuden der Kleinstadt Erklärtafeln angebracht, holt Lesungen in die Darre, steht neben den Vereinen für das, was im ländlichen Raum Zivilgesellschaft bedeutet.

Ein großer Frust

Dass nun überhaupt keine Partei mehr in Lieberose antritt, überrascht ihn nicht. „Die Parteien wagen sich nicht mehr zu uns vor“, sagt er, „sie haben auch keine Ortsgruppen mehr.“ Allerdings sei es für Parteien auch nicht besonders erfolgversprechend, im ländlichen Raum anzutreten. „Es gibt einen großen Frust auf die Bundespolitik, das ist hier die Stimmung.“

Nicht nur die SPD, deren Ministerpräsident Dietmar Woidke zuletzt alles auf seinen Nimbus als zupackender Landesvater setzt, ist in Lieberose nicht angetreten, sondern auch die AfD. Dennoch hat Dieter Klaue einen Stimmungswechsel beobachtet. „Der Frust wird immer größer“, sagt er. „Es gibt schon einen Rechtsruck, das spürt man, auch wenn die AfD nicht antritt.“

Können Bürgerlisten wie die von Petra Dreißig und Kerstin Michelchen neuen Schwung in kleine Städte wie Lieberose bringen? Klaue ist da skeptisch. „Die Bürgermeisterin arbeitet ehrenamtlich“, sagt er: „Die wichtigen Entscheidungen werden im Amt Liebe­rose/Oberspreewald in Straupitz getroffen.“ Hinzu kommt, dass Lieberose zum östlichen Zipfel des Landkreises Dahme-Spreewald gehört. Bei der Wirtschaftsförderung im berlinnahen Wildau, heißt es hinter vorgehaltener Hand, gäbe es andere Prioritäten.

Wird in der ostdeutschen Provinz gerade eine postparteipolitische Kommunalpolitik erprobt? Einen Trend will David Kolesnyk am Beispiel von Lieberose nicht ableiten. „Für die Kommunalwahlen treten in Brandenburg wie schon bei der Wahl 2019 in jeder zweiten Gemeinde Kandidierende der SPD an“, sagt der Generalsekretär der brandenburgischen SPD der taz.

Auch für die Kreistage sei die Kandidatenlage unverändert. Dort liegt die SPD mit 1.030 Kandidatinnen und Kandidaten an erster Stelle, gefolgt von CDU und Freien Wählern mit jeweils 951. Von 335 auf 569 gestiegen ist die Zahl der AfD-Kandidaten. Die rechtsextreme Partei liegt damit aber immer noch hinter den Grünen, für die 656 Personen kandidieren.

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Als stabil bezeichnet der SPD-Mann die Lage, auch vor dem Hintergrund von Anfeindungen, die es schon vor den jüngsten Übergriffen gegeben habe. Allerdings räumt Kolesnyk ein, dass sich die SPD-Kandidaten nicht gleichmäßig übers Land verteilen. „Das ist im Speckgürtel anders als in der Fläche“, sagt er. „Dort gibt es auch viele, die sagen, jetzt bin ich 70 und trete nicht mehr an.“

Nicht frei von Streit

Dass Kerstin Michelchen noch mal antritt, hat einige in Lieberose überrascht. Als sie 2019 gegen Petra Dreißig verloren hat, hat sie einfach hingeschmissen. Nicht einmal ihren Sitz in der Stadtverordnetenversammlung hat sie wahrgenommen.

Doch nun will Michelchen es noch mal wissen. „Die vergangenen fünf Jahren waren verlorene Jahre für Lieberose“, sagt sie, spricht von einer Selbstbedienungsmentalität, ohne dafür Beispiele zu nennen. Sollte sie als Bürgermeisterin abermals verlieren, will sie diesmal aber ihr Mandat wahrnehmen. „Ich halt meinen Mund nicht mehr“, verspricht sie.

Petra Dreißig, Bürgermeisterin

„Es ist selten, dass mal einer sagt, der andere hat recht“

Petra Dreißig sagt, auch ohne Parteien sei die Kommunalpolitik nicht frei von Streit. „Es ist selten, dass mal einer sagt, der andere hat recht, und deshalb stimme ich für seinen Vorschlag.“ Im Grunde sei das nicht anders als bei den etablierten Parteien. „Wenn die einen was einbringen, stimmen die anderen aus Prinzip dagegen.“

Dennoch hofft sie, dass es nach dem 9. Juni endlich auch um Sachpolitik geht. „Wir wollen doch alle das Beste für Lieberose.“

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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