: Agitieren mit dem „Agenten-Gesetz“
Die Regierungspartei Georgischer Traum fürchtet einen Machtverlust bei den Parlamentswahlen imHerbst
Von Barbara Oertel
Demonstrant*innen, viele davon eingehüllt in die Flaggen Georgiens und der Europäischen Union, vor dem Parlamentsgebäude in Tbilissi. Sprechchöre und Plakate gegen Russland, und Polizisten, die wahllos auf Menschen einprügeln: Die Südkaukasusrepublik Georgien, normalerweise eher nicht im Zentrum internationaler Aufmerksamkeit, schafft es dieser Tage sogar in Nachrichtensendungen zur Hauptsendezeit.
Der Grund: Seit zwei Monaten gehen Zehntausende fast täglich auf die Straße. Sie protestieren gegen ein Gesetz zur „Transparenz ausländischer Einflussnahme“, das viele auch „russisches Gesetz“ nennen.
Die neue Regelung sieht vor, dass sich Nichtregierungsorganisationen und Medien, die zu mindestens 20 Prozent aus dem Ausland finanziert werden, in ein besonderes Register eintragen lassen müssen. Bei Zuwiderhandlungen drohen Geldstrafen von umgerechnet bis zu 7.000 Euro. Bereits im vergangenen Jahr hatte die Regierungspartei Georgischer Traum (KO), die seit 2012 an der Macht ist, ein fast identisches Gesetz lanciert. Nach wochenlangen Massenprotesten wurde dieses Vorhaben jedoch fallen gelassen.
Dieser Erfolg der Zivilgesellschaft war mit ein Grund dafür, dass Georgien im vergangenen Dezember den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhielt, den die Menschen in Tbilissi und anderen Städten frenetisch feierten. Umfragen zufolge befürworten rund 80 Prozent der Georgier*innen eine Westintegration ihres Landes, der Wert ist seit Jahren stabil.
Dem frisch gebackenen Beitrittskandidaten gab Brüssel Hausaufgaben in Form eines Neun-Punkte-Programms auf. Dazu gehören unter anderem ein verstärkter Kampf gegen eine politische Polarisierung, die Sicherstellung eines freien, fairen und kompetitiven Wahlprozesses, verbesserte Standards beim Schutz von Menschenrechten sowie ein Action-Plan zur De-Oligarchisierung. Dieser Punkt ist konkret gegen den Milliardär Bidzina Iwanischwili gerichtet, Gründer des KO, Ex-Regierungschef und Strippenzieher in der georgischen Politik. Ihm werden gute Beziehungen zu Russland nachgesagt.
Trotz Massenprotesten und warnender Worte passierte das „Agenten-Gesetz“ am Dienstag vergangener Woche in dritter und letzter Lesung das Parlament. Vier Tage später legte Georgiens Präsidentin Salomé Zurabischwili ihr Veto ein. 2018 hatte der KO ihre Kandidatur noch unterstützt, mittlerweile steht sie mit der Regierungspartei jedoch auf Kriegsfuß. Am Dienstag veröffentlichte die Venedig-Kommission, eine Einrichtung des Europarates, eine Stellungnahme zu dem umstrittenen Gesetz. Dieses verletze das Recht auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und Privatsphäre sowie den Grundsatz der Nichtdiskriminierung. Die Regierung solle das Gesetz zurückziehen, heißt es darin.
Die Kausa Georgien wird auch bei einem Treffen der EU-Außenminister in der kommenden Woche Thema sein. Laut Medienberichten wollen Estland, die Niederlande und Tschechien Sanktionen gegen Tbilissi vorschlagen – darunter auch die Aufhebung der visafreien Einreise für Georgier*innen in die EU.
Doch auch das ficht den KO nicht an. Ebenfalls für kommende Woche ist eine Parlamentssitzung anberaumt, auf der das Veto der Präsidentin überstimmt werden soll.
An Spekulationen über den Anti-EU-Kurs des KO mangelt es nicht. Ein Grund könnten die Parlamentswahlen im Oktober sein, bei denen der KO einen Machtverlust befürchtet. Zwar weisen Umfragen bislang auf einen komfortablen Vorsprung hin. Die Verteilung der Mandate nach Verhältniswahlrecht, bisher galt das Mehrheitswahlrecht, könnte sich jedoch für die KO negativ auszahlen.
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