Mit „Bourgeoisie“ raus aus Südafrikas Stagnation

Eine junge Unternehmergeneration sucht in Südafrikas ehemals größtem schwarzen Township Soweto Anschluss an die Welt. Mit dem ANC hat sie nichts mehr am Hut

Aus Soweto Helena Kreiensiek

Das Surren der Nähmaschine wirkt hypnotisierend. Langsam und konzentriert führt Sibu FDB den Stoff, damit die Nadelstiche richtig sitzen. Es sind die letzten Vorbereitungen für die Soweto Fashion Week, eine Modenschau im Vorort der südafrikanischen Millionenstadt Johannesburg, die afrikanischen Designern und Models eine Plattform bietet – im Idealfall ein Katalysator für den Sprung auf die internationalen Laufstege.

Wenn er an seiner Nähmaschine sitzt, ist Sibu still. Sobald die Nadel vom Stoff gelöst ist, springt der extravagante Modeschöpfer fluchend zwischen den Tischen in seinem Studio hin und her. Er wird die Show des Abends eröffnen. Mit seinem Label FDB Human Store gehört der 41-Jährige zu Sowetos gefeierten Designern, einer der ersten Modeschöpfer aus dem riesigen schwarzen Township. Das FDB im Markennamen heißt „For da Bourgeoisie“ – für das Bürgertum. Eine selbstironische Hommage an Sowetos Straßenslang: „Wenn du dich schon ein bisschen schick machst, wirst du bourgeois genannt“, erklärt Sibu.

Die Haare gelb-weiß gefärbt und das Gesicht voller Piercings und Tattoos ist Sibu selbst eine schillernde Figur. Seit seinem Auftritt in einer Datingshow im Fernsehen ist seine Bekanntheit nochmal gestiegen. Als ihm das Handy unter vorgehaltener Waffe geklaut wurde, habe ihm das aber nicht geholfen, sagt er schulterzuckend. Südafrikas Kriminalität ist in den vergangenen Jahren immer weiter ausgeufert. Die Arbeitslosigkeit liegt im Land bei gut 40 Prozent, die Lebenshaltungskosten sind rasant gestiegen, der Verdruss ist groß.

Sibu lebt in bescheidenen Verhältnissen. Sein Studio ist ein kleiner angemieteter Raum, der überquillt vor Stoffen und halbfertigen Kreationen. Mit einem gezielten Griff holt er ein Garn hervor. Die Soweto Fashion Week sieht der Designer als Chance: „Hier kommen die Leute mit einer anderen Welt in Berührung. Mode erlaubt Träume“, erzählt er mit ausholenden Armbewegungen.

Südafrikas Ex-Präsident Jacob Zuma darf nun doch nicht bei den Wahlen am 29. Mai antreten. Das Verfassungsgericht gab am Montag einem entsprechenden Antrag der Wahlkommission IEC statt. Südafrikas Verfassung verwehrt allen ein Parlamentsmandat, die zu Haftstrafen von mehr als zwölf Monaten verurteilt wurden – Zuma wurde 2021 zu 15 Monaten Haft wegen Missachtung der Justiz verurteilt. Die Wahlkommission hatte ihn deswegen im März disqualifiziert. Ein Gericht hob das wieder auf, aber die Wahlkommission zog vor das Verfassungsgericht.

Zuma ist eigentlich Spitzenkandidat der von ihm gegründeten ANC-Abspaltung uMkhonto we Sizwe (MK), benannt nach dem ehemaligen bewaffneten Flügel des ANC. Entsprechend prangt sein Foto auf den Wahlzettel für den 29. Mai, die längst gedruckt sind. Bei Südafrikas Wahlen wird das Parlament gewählt. Die Spitzenkandidaten der Parteien stehen mit Foto auf dem Wahlzettel neben ihrem Parteinamen als deren Präsidentschaftskandidaten. Das Parlament wählt den Präsidenten.

Erwartet werden nun Proteste von Zuma-Anhängern. Bereits im Jahr 2021 hatte Zumas Inhaftierung Unruhen ausgelöst, bei denen mehr als 300 Menschen starben.

In den Meinungsumfragen lag Zumas Partei zuletzt bei rund 8 Prozent. Der regierende ANC (African National Congress), der seit 1994 mit absoluter Mehrheit regiert, kam auf rund 40 Prozent, die größte Oppositionskraft DA (Democractic Alliance) auf rund 20. (taz)

Draußen ist das Träumen schwierig geworden. Viele Südafrikaner, insbesondere die junge Generation, ist angesichts der ausufernden Korruption und dem Versagen von Basisdienstleistungen wie Strom und Wasser desillusioniert. Rund die Hälfte der Bevölkerung Südafrikas ist auf Sozialhilfe angewiesen, auch wenn das Geld nicht zum Überleben reicht. Als Sibu anfängt, über Politik zu reden, schimpft er wie ein Rohrspatz. „Load Shedding macht uns fertig“, sagt er über das seit Jahren getätigte planmäßige Abschalten der Stromversorgung über mehrere Stunden in wechselnden Wohngegenden – Südafrikas Energiebedarf ist höher als die Kapazität des staatlichen Stromversorgers Eskom. Kleinunternehmer wie Sibu leiden darunter: „Ohne Strom kann ich nicht mal meine Nähmaschine bedienen.“

Am 29. Mai wird am Kap gewählt. Dass jetzt plötzlich durchgängig Strom da ist, darüber muss Sibu herzlich lachen: „Die glauben wohl, wir vergessen so schnell.“ Zum ersten Mal seit Ende der Apartheid könnte die Dauerregierungspartei African National Congress (ANC) ihre absolute Mehrheit verlieren. Zum ersten Mal sieht es so aus, als ob eine Koalitionsbildung notwendig werden könnte. Das Missmanagement der vergangenen Jahrzehnte hat den ANC seine Glaubwürdigkeit gekostet.

Während sich viele gar nicht erst für die Wahl haben registrieren lassen, treibt es Sibu aus genau diesen Gründen an die Wahlurne: „Ich habe noch nie gewählt. Aber dieses Mal gehe ich hin“, sagt er. Wenn es nach ihm geht, soll der ANC um jeden Preis raus. „Ich habe keine Ahnung, wen ich wählen werde. Aber den ANC auf jeden Fall nicht“, sagt er und wendet sich wieder seiner Nähmaschine zu.

Sibu FDB (For da Bourgoisie) in seinem Atelier in Soweto. Die von ihm eröffnete Soweto Fashion Week sieht sich als Global Player in der Modebranche Foto: Helena Kreiensiek

In Soweto entwickelt sich eine kreative Szene, die viel ambitionierter erscheint als die südafrikanische Politik. Geht es nach Fashion-Week-Gründer Steven Manzini, soll Soweto irgendwann in einem Atemzug mit London, Paris, Mailand und New York genannt werden. Die globalen Laufstege sind westlich dominiert. Hohe Gebühren machen es aufstrebenden Designern aus dem Globalen Süden schwer, den Sprung zu schaffen. „Die Soweto Fashion Week soll diese Lücke füllen“, sagt Manzini. „Es gibt viele Talente in Südafrika. Vor allem in Soweto hat sich etwas verändert.“

Immer mehr kreative Köpfe aus Afrika, Lateinamerika und der arabischen Welt drängen auf den Markt. Beim Brics-Fashion-Gipfel Ende November 2023 in Moskau nahmen 130 Modelabels teil, ausschließlich aus den Brics-Staaten – eine Modeallianz für Länder des Globalen Südens. In diesem Jahr sind zum ersten Mal auch russische Modeschöpfer in Soweto dabei, auch nahmen im März zwei Modelabels aus Südafrika an der Moskauer Fashion Week teil.

Als sich der Vorhang hebt, ist von Hektik nichts mehr zu sehen. Souverän laufen die Models über den Steg. In den bescheidenen Ateliers und hektischen Gassen von Soweto wächst eine Generation heran, die bereit steht, die Welt zu erobern.