Debütalbum von Wiener Künstlerin Rahel: 10 Zwerghamster sind eine Hoffnung
Leicht angeschrägter Indierock, grantige Songtexte, gratis Schmäh. Warum die junge Wiener Künstlerin Rahel mit ihrem Debütalbum „Miniano“ begeistert.
US-Schauspiel- und Popstar Barbra Streisand hat viel dafür getan, dass ihre Porträtfotos, im Seitenprofil aufgenommen, ein Promotiontool wurden. Endgültig durchgesetzt hat sich das Seitenprofil trotzdem nie. Es mag auch daran liegen, dass diese Perspektive uns unnatürlich vorkommt.
Sehen wir andere Menschen in Seitenansicht eher selten – und uns selbst eigentlich nie. Die Streisand, mittlerweile auch Autorin, wählte die Perspektive, um ihren vermeintlichen Makel – schon früh wurde ihr geraten, ihre schiefe Nase operativ korrigieren zu lassen – hervorzuheben und zu ihrem Markenzeichen zu machen.
Das Cover des Debütalbums „Miniano“ der Wiener Musikerin Rahel, ebenfalls gelernte Schauspielerin, ziert auch ein Porträtfoto, aufgenommen im Seitenprofil. Zufall? Mit einem satten Lichtpunkt scheint Rahels Mund darauf überblendet zu sein.
Achtet auf die Worte!
Und genau auf den oder viel eher auf das, was dort herauskommt, gilt es bei der österreichischen Künstlerin zu achten. Von Rahel fallen viele schöne Textzeile. Etwa: „Es gibt noch so viel Hoffnung, wie es Zwerghamster gibt / Doch man weiß noch nicht / Dass man die Hoffnung in Kleintieren misst.“
Rahel: „Miniano“ (Ink Music/Eigenvertrieb)
Für Haus- und Nutztiere scheint es bei Rahel generell ein großes Faible zu geben. Macht Sinn, denn aufgewachsen ist die Wienerin auf einem Bauernhof mit Pferden, Schafen und Hühnern. Und mit vielen anderen Kindern in leicht hippiesken Verhältnissen.
Diese idyllische Umgebung bewahrt Rahel in ihrer Musik nicht nur, sie spinnt sie weiter und entwirft damit einen Ort, an dem das Patriarchat überwunden ist. Die Frauen pinkeln dort, wie in ihrem Album-Auftakt „Schaffner“, im Stehen und auch die Hürden zwischen Mensch, Maschine und Natur scheinen überwunden, denn „Am Dach [des Zuges] da schläft ein kleines Reh.“ Dieser wundersame Ort, den tauft die junge Frau „Miniano“.
Grunge mit mehr Biss
In welchen musikalischen Mantel packt man nun diese teils zarten, teils (im besten Sinne) komischen und absurden Zeilen? Rahel hat sich für eine grungig, indierockistisch-poppige Mischung mit Anleihen an die große Zeit von Indie der deutschsprachigen Gitarrenmusik entschieden.
Wer es erkennt, hört die Einflüsse auch sofort: Eine Rolle dürfte in jedem Fall die Band Wir Sind Helden um Sängerin Judith Holofernes gespielt haben. „Gekommen, um zu bleiben“ heißt einer der Titel auf dem zweiten WSH-Album „Von hier an blind“ (2005). Etwas mehr als eine Volljährigkeit später singt nun Rahel im Song „Bitte nicht in Blicken“ und es ist eine ihrer Singles: „Ich bin gekommen, um wieder zu gehn.“
Sollte dem so sein, wäre das allerdings äußerst schade. Rahels Musik besticht durch eigenständigen Sound, wie er zuletzt im deutschsprachigen Indie nur selten zu hören war. Viele Musiker:innen geben sich dem düsteren Synthiepop hin und verlieren sich so im Bemühen, die Gothic-Achtziger wieder aufleben zu lassen.
Immer Gothic wird doch öde
Der Traurigkeit zu fröhnen ist in Anbetracht der Weltlage zwar nachvollziehbar. Trotzdem gut, dass Rahel einen anderen Weg gewählt hat: Wie durch eine Lupe betrachtet sie die Details ihrer selbst geschaffenen Utopie „Miniano“. Sie verleiht ihr damit Größe und den Zuhörenden eine Idee davon, dass ja auch alles anders sein könnte.
Es ist eben diese Perspektive, die „Miniano“ so spannend klingen lässt. Eine Perspektive, die nicht jede:r beherrscht, weil es dazu Gespür für die richtigen Worte braucht. Die hat Rahel gefunden, driftet mit ihnen aber nie in schlagereskes Selbsthilfeliteratur-Pathos ab oder versteckt sich hinter öden Austropop-Klischees.
Das zweite Album von Barbra Streisand trägt übrigens den Titel „The Second Barbra Streisand Album“. Man kann annehmen, dass das bei Rahel anders ausgehen wird. Wann auch immer sich diese Frage stellen wird – bis dahin bleibt genügend Zeit, die vielen interessanten Details auf „Miniano“ zu entdecken.
Dass sich Hoffnung in Kleintieren messen lässt, hat sich als Erkenntnis zwar noch nicht durchgesetzt, aber man könnte ja schon mal Pop-Alben in Zwerghamstern bewerten. „Miniano“ bekäme dann zehn Stück.
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