Imperiale Einsamkeit hatvieleNamen

Falten, Glatze, Pop: Die Pet Shop Boys und ihr neues Album, das Alterswerk „Nonetheless“, mit Songs über abstrakte Sehnsucht und unerfüllte Leidenschaft

Sie waren schon immer da: Neil Tennant und Chris Lowe Foto: Alasdair McLellan

Von Annette Walter

Kunst will das, was noch nicht war, doch alles, was sie ist, war schon“, hat der Philosoph Theodor W. Adorno einst geschrieben. Und sein Aphorismus trifft noch immer ziemlich gut auf das zu, was das Spätwerk der Pet Shop Boys (PSB) darstellt. Wahrhaftige Kunst ist das, was sie zwar bereits seit Anfang der 1980er auf musikalischer, textlicher und visueller Ebene produzieren, in jedem Fall, auch wenn ihr leichtgängiger Sound früher bisweilen als Fahrstuhlmusik diskreditiert wurde.

Nun erscheint mit „Nonetheless“ ein neues, ihr sage und schreibe 15. Album, mit dem sie zum früheren Majorlabel Parlophone zurückgekehrt sind. Kinder, wie die Zeit vergeht! Die Veröfentlichung ihrer Debütsingle „West End Girls“ liegt mittlerweile 40 Jahre zurück. Viele ihrer alten Kol­le­g:In­nen hat es längst zerlegt. Nicht so das britische Duo Neil Tennant und Chris Lowe, die beide ihren Dienst im Popgeschäft souverän und aber auch korrekt, fast ein bisschen so wie Beamte auf Lebenszeit erfüllen.

Für die Pet Shop Boys gilt mittlerweile keine Trennung zwischen E- und U-Kultur mehr. Zumindest in Großbritannien, in ihrer Heimat wurden ihnen bereits Ausstellungen gewidmet. Von Studierenden werden sie mittlerweile in Seminaren und Doktorarbeiten analysiert. Bezeichnend dafür ist, dass sie im Juli auch an fünf Abenden im renommierten Londoner „Royal Opera House“ auftreten. Alle fünf Konzerte waren im Nu ausverkauft, obwohl das Duo dort schon seit einigen Jahren regelmäßig konzertiert. Das Publikum dreht zu diesen Anlässen verlässlich durch. Eine Popband in einem deutschen Opernhaus? Eher unwahrscheinlich.

Neil Tennant wird im Juli 70 und ist ohne große Pose oder Getue Elder Statesman und Grandseigneur des britischen Pop. „Es gibt keine Altersdiskriminierung im Pop mehr“, äußerte er kürzlich im Guardian. Denn: „Das Alter scheint keine Rolle mehr zu spielen, weil die Musik nicht gealtert zu sein scheint.“

Tennant und sein Partner Chris Lowe waren von jeher alterslose Wesen, was durch eine raffinierte Imagestrategie mit den versiertesten Grafikdesignern eisern durchexerziert wird. Ähnlich wie man das vielleicht von Kraftwerks Robotern kennt. Sei’s drum, dass die beiden mittlerweile ihre Haare offen tragen und zusätzlich ein paar Falten. Wird das Ganze eben mit Photoshop für die Promofotos entsprechend aufgehübscht.

Auf dem Cover von „Nonethe­less“ tragen beide schwarze Jacketts, schwarze Krawatten und weiße Handschuhe. Die größte Sensation ist vermutlich, dass der notorisch mysteriöse Chris Lowe diesmal auf eine Kopfbedeckung verzichtet! Das passt irgendwie zur weitgehend unaufgeregten Bandgeschichte: Nie nervten Pet Shop Boys mit Homestories, Liebeswirrwarr, und sie gehen auch nicht mit ihrem exzellenten Kunstgeschmack hausieren. Sie machen einfach ihr Ding. Seit Jahren touren sie äußerst erfolgreich mit der „Dreamworld: The Greatest Hits Live“-Tour, die vermutlich schon in jeder großen Stadt der Welt zu sehen war.

Musikalisch kann „Nonetheless“ nicht an die Einzigartigkeit von „Super“ anknüpfen, dem letzten richtig guten Album (2016). Der Sound ist bekannt, keine Experimente, es bleibt bei eingängigem Pop. Am ehesten klingt der Geist von Meisterwerken wie „Beha­viour“ noch in dem Song „Bullet for Narcissus“ durch, einem melancholischen Lied über das, wovon die meisten Songs auf dem Album handeln, nämlich von abstrakter Sehnsucht und unerfüllter Leidenschaft, was stets das Schlüsselthema der PSB war.

Der Albumtitel, übersetzt „trotz alledem“ oder „nichtsdestotrotz“, ist übrigens weder als Kampfansage noch als Wutbürger-Manifest gemeint, sondern er steht einfach als Worthülse für: gar nichts. Höchstens dies, Ein-Wort-Albumtitel haben bei der Londoner Band Tradition; in sie lässt sich nichts, aber auch rein gar nichts reingeheimnissen. Pop als pure Oberfläche, das ist allenfalls die Aussage.

Die erste Single „Loneliness“ dümpelt ein wenig unmotiviert dahin, klingt dennoch sehr catchy und setzt sich mit Corona und den Auswirkungen auf ältere Menschen auseinander: „Wherever you go / You take yourself with you / There’s nowhere you can hide from the loneliness / That’s haunting your life / The sense of wounded pride / Everybody needs time to think / Nobody can live without love.“

Einen instant classic wie aus der „imperialen“ Phase in den 1980er Jahren, die später noch auf dem besten Album seit 2000, „Yes“, durchschimmert, sucht man auf „Nonetheless“ vergeblich, aber das ist gar nicht der Punkt. Die Musik klingt exakt so, wie man sich das gelassene Alterswerk eines routinierten Duos vorstellt, das sich nichts mehr beweisen muss, auch wenn das selbst wie ein Klischee klingt.

Doch wer Neil Tennant und Chris Lowe einmal getroffen hat, weiß, dass sie tatsächlich die britische Tongue-in-cheek-Attitüde leben. Sie waren einfach schon immer da, und ob das, was sie veröffentlichen, im Gesamtwerk auf der oberen oder unteren Skala rangiert, ist letztlich egal, weil ihre Reputation sowieso safe ist und kommerziel­ler Erfolg für die Band keine Relevanz mehr hat.

Neil Tennant und Chris Lowe leben die britische Tongue-in-cheek-Attitüde

Letzthin las man, dass Tennant in Berlin, der Stadt, die die beiden zum Zweitwohnsitz auserkoren haben, mit der U5 zur Samariterstraße nach Friedrichshain fuhr, anschließend über die Frankfurter Allee spazierte, um dort in der kleinen Galerie von Jan Linkersdorff die Kunstwerke des DDR-Malers Jürgen Wittdorf zu bestaunen. Von ihnen besitzt der Brite als passionierter Kunstsammler und enger Freund des Fotografen Wolfgang Tilmans einige. Dass ihn jemand erkannt habe, glaubt man kaum.

Ihre Affinität zu Deutschland merkt man ebenfalls im Song „The Schlager Hit Parade“. Textlich ist das nicht direkt Tennants beste Leistung, aber dennoch ganz ulkig: „If you think you’re going down in hazel / Black and brown / You need some happy music / When winter comes around / Glühwein, Wurst and Sauerkraut / Sun and sangria.“ Ein prototypischer Song, der sowohl im alkoholgeschwängerten Umfeld einer Dorfdisco als auch an einem Partystrand funktioniert und sogar in akademischen Zirkeln als nonchalante Gesellschaftsbeobachtung diskutiert werden kann.

„Nonetheless“ beweist, das Spiel zwischen Ernst und Ironie beherrschen die Pet Shop Boys immer noch perfekt.

Pet Shop Boys: „Nonetheless“ (Parlophone/Warner)