Angriffe auf Politiker:innen: „Solidarität ist die Antwort“
Vereinsvorsitzende und Bischöfe sollten Betroffenen rechter Gewalt Unterstützung anbieten, sagt Extremismusexperte David Begrich im Interview.
taz: Herr Begrich, Sie warnen seit Langem vor der Ausbreitung des Rechtsextremismus. Der Angriff auf den sächsischen SPD-Europaspitzenkandidaten Matthias Ecke in Dresden und Bedrohungen weiterer Wahlkämpfender, sind das Taten, die Sie befürchtet haben?
David Begrich: Ja, so etwas war leider zu befürchten. Weil wir seit Jahren in bestimmten Regionen der Bundesrepublik, und insbesondere in Ostdeutschland, eine Zunahme von Angriffen nicht nur auf Politikerinnen und Politiker erleben, sondern auf Engagierte generell – ehrenamtliche Bürgermeister oder Vertreter von Vereinen und Verbänden. Und zwar immer dann, wenn diese Personen kenntlich machen, dass sie für die Demokratie eintreten. Insofern hat mich das leider nicht überrascht.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser spricht von einer „neuen Dimension antidemokratischer Gewalt“. Das sehen Sie nicht so?
Nein. Natürlich erleben wir nicht jeden Tag solch schwere Gewalttaten. Aber ich will daran erinnern, dass wir schon seit Jahren etwa körperliche Angriffe auf Journalisten und Journalistinnen erleben, die in Sachsen über die rechten Montagsdemonstrationen berichten. Oder denken Sie zurück an die Wahlkämpfe Ende der Neunziger Jahre in Ostdeutschland, da gab es ähnliche Situationen, als Neonazis aus dem NPD-Umfeld gewalttätig wurden. Der Angriff auf Matthias Ecke ist daher Teil einer langen Kontinuität, nicht eine Ausnahme.
Jahrgang 1972, Sozialwissenschaftler und Theologe. Arbeitet beim Magdeburger Verein Miteinander.
Wer trägt die Verantwortung für die wieder aufbrechende Gewalt? Die AfD?
Man muss vor allem auf das Vorfeldmilieu der AfD gucken, das in den ostdeutschen Klein- und Mittelstädten seit 2016 ununterbrochen auf die Straße geht, vorzugsweise montags, und einen Radikalisierungsverlauf hingelegt hat, der seinesgleichen sucht. Da gibt es rechts der AfD die Freien Sachsen, die um ein erhebliches radikaler sind, in ihren Ausdrucksmitteln oder Aufrufen zu Gewalttaten. Vor allem die Grünen trifft eine völlig verachtende Rhetorik – was in Ostdeutschland sehr breite Resonanz findet. Das ist der Nährboden, auf dem Enthemmung entsteht und dann auch solche Taten wie in Dresden.
Gegen die Grünen hört man auch aus der Union scharfe Polemiken. Tragen demokratische Parteien eine Mitschuld?
Kontroversität und Polemik gehört zum politischen Geschäft. Aber die Wortwahl in der politischen Auseinandersetzung trifft auf einen Resonanzraum, in dem Herabwürdigung und Radikalisierung Platz greifen. Heißt: Sorgsam mit Worten in der politischen Auseinandersetzung sein!
Zuletzt gab es Angriffe auf Politiker auch im Westen, in Essen oder Nordhorn. Die Gewalt ist also nichts spezifisch Ostdeutsches?
Es gibt in den Bundesländern spezifische Ursachen und natürlich gibt es auch in Westdeutschland Übergriffe. Aber das darf uns nicht davon ablenken, dass wir in Ostdeutschland doch eine noch weiterreichende, auch sozialwissenschaftlich belegte Verächtlichmachung der Parteien und Demokratiedistanz erleben, die weit stärker in die Mitte der Gesellschaft hineinreicht als das in Westdeutschland der Fall ist.
Nach den Angriffen gab es spontane Solidaritätskundgebungen in Dresden und Berlin, auch mit Auftritten von Spitzenpolitikern wie Hendrik Wüst, Lars Klingbeil oder Katrin Göring-Eckardt. Ein wichtiges Zeichen?
Ja, das ist ein Zeichen, aber mehr auch nicht. Ich hätte mir gewünscht, dass in Berlin – wie es in Dresden geschehen ist – die Politprominenten denjenigen eine Stimme gegeben hätten, die in den Regionen von den Bedrohungen betroffen sind. Eine Bundestagsvizepräsidentin hat, völlig zu Recht, einen Dienstwagen und Polizeischutz, der sie wieder sicher nach Hause bringt. Ein ehrenamtlicher Bürgermeister, der mit dem Fahrrad durch die Stadt radelt, hat das nicht. Diese Menschen sind aber diejenigen, die jetzt gefährdet sind – und die unsere Aufmerksamkeit brauchen.
Gerade in Teilen Ostdeutschlands hat die AfD weiter Zulauf, ebenso die Freien Sachsen. Kriegt man die Stimmung überhaupt noch eingefangen?
Man kriegt das jedenfalls nicht eingefangen, wenn man jetzt nur die nächste Pressemitteilung schreibt, in der alle nochmal ihre Solidarität bekunden. Das ist wichtig und notwendig, aber nicht ausreichend. Was es braucht, ist, dass diejenigen, die in den Regionen ihr Gesicht für die Demokratie in den Wind halten, die tatsächliche Rückendeckung ihrer Institutionen bekommen – seien es Parteien, Kirchengemeinden oder Initiativen von unten. Das heißt konkrete Unterstützung.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Ich habe zu oft mit Menschen gesprochen, die erzählten, ihre Institutionen bekämen das eigentlich gar nicht mit, wenn sie angegriffen werden. Da gibt es eine unendliche Langsamkeit der Reaktionen. Es muss aber klar sein, wenn Vertreter demokratischer Institutionen angegriffen werden, dann müssen diese Institutionen hörbar und sichtbar sein. Es darf nicht der Hauch des Eindrucks entstehen, dass der attackierte Bürgermeister, die Jugendsozialarbeiterin oder ein Übungsleiter in solch einer Situation alleine ist.
Was sagt es aus, dass viele Betroffene dennoch diesen Eindruck schildern?
Das kann unterschiedliche Ursachen haben. Entweder wird die Bedrohung von den Institutionen wirklich nicht wahrgenommen. Oder dort wird oft gedacht, ach, da wird sich schon jemand kümmern. Darauf würde ich mich aber nicht verlassen, sondern als Vereinsvorsitzender, Bischof oder Schuldirektor lieber einmal mehr zum Telefon greifen als einmal zu wenig und bei den Betroffenen nachfragen, was sie an konkreter Unterstützung brauchen. Es darf nicht sein, dass am Ende des Tages die Betroffenen ihre zerstochenen Reifen von der eigenen Versicherung bezahlen müssen.
Reicht das? Gefordert wird auch mehr Polizeischutz für die Wahlkämpfenden oder eine Strafverschärfung. Zu Recht?
Strafverschärfungen? Es gibt doch hinreichend Instrumentarien, um solche Vorgänge zu verfolgen. Und Demokratie lebt nicht davon, dass sie unter Polizeischutz stattfindet, sondern dass sie ein offener Austausch ist. Natürlich kann man Veranstaltungen mit der Polizei schützen, aber ich möchte keinen Bürgerdialog erleben, an dem man nur nach einer Kontrolle durch die Bereitschaftspolizei mitwirken kann. Das kann nicht die Antwort sein.
Was wäre dann die Antwort?
Solidarität ist die Antwort. Es kann nur eine zivilgesellschaftliche Antwort geben. Eine aus der politischen Bildung, aus der Arbeit vor Ort, ein Zusammenrücken der demokratischen Akteure.
Sehen Sie, dass das ausreichend geschieht?
Mein Eindruck ist, dass das Problembewusstsein für kommende Gefahren wächst.
Braucht es auch mehr Prävention? Etwa mit dem schon lange geforderten Demokratiefördergesetz, das Projekte langfristig absichert?
Das ist Gegenstand der politischen Debatte. Ganz klar: Die Arbeit für Demokratie gerade in Ostdeutschland braucht Planungssicherheit und Rückendeckung, ja. Und da ist es befremdlich, wenn das Demokratiefördergesetz schon seit zehn Jahren versprochen wird, aber nie eingelöst.
Zu Jahresbeginn gab es bundesweit große Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. Ist deren Wirkung jetzt schon wieder verpufft?
Die Demonstrationen waren ein wichtiges Zeichen der Ermutigung. Aber sie kamen gewissermaßen zu früh. Das Wahljahr ist lang. Die Zivilgesellschaft muss zeigen, dass ihr Atem länger ist als jener der extremen Rechten. Das ist ein Kraftakt. Jetzt gilt es, potenziell bedrohten ostdeutschen Kultur- und Jugendinitiativen Gehör zu verschaffen. So wie es etwa die Berliner Initiative Netzwerk Polylux tut.
Derzeit laufen die Wahlkämpfe für die Europa- und einige Kommunalwahlen, im Herbst folgen dann die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Müssen wir mit weiteren Gewalttaten rechnen?
Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Auseinandersetzungen im Wahlkampf härter werden. Ich fürchte, dass es weitere Gewalttaten geben wird. Umso wichtiger ist das Momentum der Sensibilisierung derzeit. Und dass Parteien, die ihre Ehrenamtlichen losschicken zum Plakate aufhängen oder Handzettel verteilen, eine intensive Vor- und Nachbereitung dieser Touren anbieten, auch Gesprächsangebote der Nachsorge, um eventuelle Angriffe zu verarbeiten. Niemand sollte den Stresstest für die Demokratie in diesem Jahr unterschätzen. Niemand!
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