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Jelinek-Stück am Theater BremenDie Rückkehr der Engel

Kaum ein neues Stück wird derzeit so viel gespielt, wie Elfriede Jelineks „Sonne/Luft“. Sein Thema ist der Klimawandel. Seine Sprache gewohnt rasant.

Im Sonnenquartett: Matthieu Svetchine trägt als Apollo zugleich mit würde die Krone des Inka Foto: Jörg Landsberg/Theater Bremen

Bremen taz | Oh, wie schön. Elfriede Jelineks Textflächentheater changiert immer zwischen burleskem Kasperlespiel und philosophiehistorischem Seminar: Das gibt’s sonst nur in Johann Wolfgang von Goethes Faust, aus dem Jelineks Werk „Sonne/Luft“ wichtige szenische Impulse bezieht.

Allerdings muss man beim Weimarer Klassiker ohne die rasante Leichtfüßigkeit und den kalauernden Wortwitz der Österreicherin auskommen. Ein halbes Jahr nach der Hamburger Uraufführung hat das Stück nun in Bremen Premiere gefeiert.

Und nein, nicht nur dort: „Sonne/Luft“ ist das in Deutschland wahrscheinlich meistinszenierte Stück der laufenden Spielzeit. Es betrachtet die Klimakatastrophe aus der kosmisch-welttheatralen Perspektive des goetheschen Prologs im Himmel.

Nur hat Jelinek die glänzendsten Sterne ihrer Brudersphären halt in Wortnebeln eingewoben, und durch Witzeleien bis hin zur Zote verdeckt. Alle, denen er zu schwierig wird, haben also die Möglichkeit, den Text als Plattitüde abzutun. Das ist doch eine Chance, oder?

Kühl ordnender Zugriff

Um die wahrzunehmen, bedarf es außerordentlicher Sprecher*innen, die diesen fließenden Übergang der Register und Sprachniveaus hinkriegen, wie es in Bremen dem Titelrollenquartett Shirin Eissa, Karin Enzler, Nadine Geyersbach und, mit immensem Textanteil, Irene Kleinschmidt mit spielerischer Leichtigkeit gelingt.

Schauspiel „Sonne/Luft“, Elfriede Jelinek, Theater Bremen, Kleines Haus, Aufführungen wieder am 12. 5., 18.30 Uhr, am 18. 5. und 30. 5. sowie am 8. 6. und 28. 6, jeweils 20 Uhr

Und es bedarf eines fast schon rabiaten, kühl-ordnenden Zugriffs, um sie so zum Leuchten zu bringen: Großartig haben die Dramaturgin Elif Zengin und Regisseurin Christiane Pohle für diese Produktion die Kunstliedreminiszenzen der Vorlage detektiert. Mit ihrer Hilfe – dank Anneliese Rothenberger und Dietrich Fischer-Dieskau per Schallplattenspieler und dank dem irrwitzig guten Ein-Mann-Live-Orchester Philipp Haagen – haben sie die Satzlawinen eingedämmt und den Furor so in Bahnen gebracht, dass eine in sich schlüssige Bühnenwirklichkeit daraus entstehen kann.

Dass dabei das Zitatgeflecht, das Jelinek spinnt – und manchmal spinnt sie wirklich! – in die Sichtbarkeit tritt, verdankt sich dabei nicht zuletzt den fantastischen Kostümen von Dorothee Curio: Dank seiner voll Würde getragenen Krone und seines Gewandes ist Matthieu Svetchine, der als Apollo die Szene betritt, auch als Manku Qhapaq zu erkennen, der erste Inka.

Der Sohn der Sonne sitzt zunächst eher schweigsam entspannt am Rande und nimmt ein Fußbad. Es ist gut möglich, dass er auf Opfer wartet. Später, zum Auftakt des Luft-Teils, wird er einen nachdenklichen, mutmaßlich an Louis Althusssers Epikur-Lektüre orientierten Monolog über die Atome und das Nichts halten. Es kann aber auch sein, dass es ein bloßer Spaß der Autorin ist.

Jelineks Blick auf den Schrecken der Klimakatastrophe wirkt oft eher lustvoll als resignativ, mitunter fast schmerzpornografisch: Die kosmisch-mythologische Perspektive macht das erträglich, weil nur in ihr aus dem verhängnisvollen Himmelsteam – ist das die Rückkehr der Engel? – eine köstlich desorientierte Terroristen-Kombo werden kann.

Die versorgt sich in langer, weißer Unterwäsche am Kiosk erst einmal mit Bier und Waffen, bevor sie die Erde erneut heimsucht: Vom Grausamen zum Lächerlichen ist es auch nur ein Schritt. In Christiane Pohles kluger und mitreißender Inszenierung kommt das Stück auf beiden Seiten dieses schmalen Grats zugleich zum Stehen: brutal und komisch, schrecklich und schön.

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