kritisch gesehen: elfriede jelineks „sonne/luft“ am theater bremen
: Manku Qhapaq und die Rückkehr der Engel

Oh, wie schön. Elfriede Jelineks Textflächentheater changiert immer zwischen burleskem Kasperlespiel und philosophiehistorischem Seminar: Das gibt’s, allerdings ohne die rasante Leichtfüßigkeit und den kalauernden Wortwitz der Österreicherin, sonst nur in Johann Wolfgang von Goethes Faust, aus dem Jelineks Werk „Sonne/Luft“ wichtige szenische Impulse bezieht, das ein gutes halbes Jahr nach der Hamburger Uraufführung nun in Bremen Premiere gefeiert hat.

Und nicht nur dort: Das in Deutschland wahrscheinlich meistinszenierte Stück der laufenden Spielzeit betrachtet die Klimakatastrophe aus der kosmisch-welttheatralen Perspektive des Prologs im Himmel. Nur sind die glänzendsten Sterne dieser Brudersphären halt in Textnebeln eingewoben, und durch Witzeleien bis hin zur Zote verdeckt. Alle, denen er zu schwierig wird, haben also die Möglichkeit, den Text als Plattitüde abzutun. Das ist doch eine Chance.

Um die wahrzunehmen, bedarf es außerordentlicher Sprecher*innen, die diesen fließenden Übergang der Register und Sprachniveaus hinkriegen, wie es in Bremen dem Titelrollenquartett Shirin Eissa, Karin Enzler, Nadine Geyersbach und, mit immensem Textanteil, Irene Kleinschmidt mit spielerischer Leichtigkeit gelingt. Und es bedarf eines fast schon rabiaten, kühl-ordnenden Zugriffs, um sie so zum Leuchten zu bringen: Großartig haben die Dramaturgin Elif Zengin und Regisseurin Christiane Pohle für diese Produktion die Kunstliedreminiszenzen der Vorlage detektiert und mit ihrer Hilfe – dank Anneliese Rothenberger per Schallplattenspieler und dem irrwitzig guten Ein-Mann-Live-Orchester Philipp Haagen – die Satzlawinen begrenzt und in Bahnen gebracht, bis eine in sich schlüssige Bühnenwirklichkeit daraus entstanden ist.

Dass dabei das Zitatgeflecht, das Jelinek spinnt – und manchmal spinnt sie wirklich! – in die Sichtbarkeit tritt, verdankt sich dabei nicht zuletzt den fantastischen Kostümen von Dorothee Curio: Dank seiner voll Würde getragenen Krone und seines Gewandes ist Matthieu Svetchine, der als Apollo die Szene betritt, auch als Manku Qhapaq zu erkennen, der erste Inka. Der Sohn der Sonne sitzt zunächst eher schweigsam entspannt am Rande und nimmt ein Fußbad. Es ist gut möglich, dass er auf Opfer wartet. Später, zum Auftakt des Luft-Teils, wird er einen nachdenklichen, an Louis Althusssers Epikur-Lektüre orientierten Monolog über die Atome und das Nichts halten.

Schauspiel „Sonne/Luft“, Elfriede Jelinek, Theater Bremen, Kleines Haus, Aufführungen wieder am 12. 5., 18.30 Uhr, am 18. 5. und 30. 5. sowie am 8. 6. und 28. 6, jeweils 20 Uhr

Jelineks Blick auf den Schrecken der Klimakatastrophe wirkt oft eher lustvoll als resignativ, mitunter fast schmerzpornografisch: Die kosmisch-mythologische Perspektive macht das erträglich, weil nur in ihr aus dem verhängnisvollen Himmelsteam – ist das die Rückkehr der Engel? – eine köstlich desorientierte Terroristen-Kombo werden kann, die sich in langer, weißer Unterwäsche am Kiosk mit Bier und Waffen versorgt, bevor sie die Erde erneut heimsuchen wird: Vom Grausamen zum Lächerlichen ist es nur ein Schritt. Christiane Pohles Inszenierung lässt das Stück auf beiden Seiten zugleich stehen: brutal und komisch, schrecklich und schön. Benno Schirrmeister