Klare Ansagen, flexible Ausführung

Sissi Chens Kochbuch „Einfach Chinesich“ verzeiht Einsteigern fehlende Zutaten. Und für Diaspora-Chinesen gibt’s endlich Mengenangaben für die Rezepte ihrer Mütter

Lecker! Foto: Claudia Goedke/dumont

Von Victoria Kure-Wu

Wenn ich an die Rezepte meiner Mutter denke, dann denke ich an Sätze wie: Nimm so viel Mehl, dass sich der Teig wie ein Ohrläppchen anfühlt. Oder: Zu dem Chinakohl gibst du ein weiteres Gemüse dazu, sodass das Gericht aus mehr als zwei verschiedenen Farben besteht. Oder: Gib so viel Wasser zum Reis, dass es bis zu deinem Handknöchel reicht, wenn du deine Hand flach in die Schale auf den Boden legst. Diese Art der Zubereitung fällt mir an den meisten Tagen leicht. Doch manchmal, wenn ich für besondere Gäste koche, möchte ich wissen, ob es nun 200 oder 250 Gramm Mehl sein müssen.

Auch die Mutter von Sissi Chen hat ihr keine Mengenangaben für Rezepte mitgegeben. Das Gefühl für das richtige Verhältnis der Zutaten werde in der chinesischen Kultur über das Beobachten, Ausprobieren und Mitmachen weitergetragen, schreibt Chen in ihrem Kochbuch „Einfach Chinesisch“.

Chen – geboren in China, gelebt in Wien, gelandet in Berlin – ist keine ausgebildete Köchin, aber als @eatinginberlin eine der interessantesten Foodbloggerinnen. „Einfach Chinesisch“ ist ihr persönliches Album aus unkomplizierten Rezepten für die Mittagspause oder das chinesische Neujahr.

Das Buch eignet sich für Neulinge, die zum ersten Mal Teigtaschen zubereiten wollen. Sie können mit Sissi Chens Hilfe Mapo-Tofu am Herd brutzeln, ohne vorher für fehlende Zutaten in den Asia-Markt fahren zu müssen. Es eignet sich aber auch für Leute wie mich, die mit Teigtaschen in der Suppe, gebratenen Teigtaschen oder Teigtaschen-Bettdecken aufgewachsen sind. Menschen aus der chinesischen Community bekommen mit dem Buch endlich Mengenangaben zu den Familienrezepten, die sie nur durchs Mitkneten von Mama vererbt bekommen haben.

Schon das Durchblättern des Buches macht Appetit: Auf Nahaufnahmen sind Nudeln, die saftig über Holzstäbchen hängen oder Hefeteigbrötchen, deren Hackfüllung rausguckt. Für Vegetarier und Veganer gibt es für jedes Rezept Abwandlungen. Neben „einfach“ ist das Konzept des Buches „pragmatisch“. Die Einleitung erklärt es auch: Weizennudeln dürfen gegen Spaghetti getauscht und Hack meint auch veganes Hack.

Sissi Chen teilt ihre Rezepte im Buch in sieben Kapitel, je eins für Nudeln, Tofu und Gemüse, für Teigtaschen, Suppen und Fladenbrot. Der feierliche Abschluss ist dem chinesischen Neujahr gewidmet. Sämtliche Speisen im Buch können allein oder miteinander kombiniert serviert werden. Dabei gebe es kein richtig oder falsch. Für alle, die dennoch Hemmungen vor vermeintlich falschen Kombinationen haben, gibt es Menüvorschläge.

Die Vielfalt der Speisen ist enorm. Ich probiere die Chang Shou Mian aus dem Kapitel des chinesischen Neujahrs, ein Gericht aus Nudeln, Pak Choi, Eiern, eingelegtem Gemüse und einer Sauce aus Sojasauce, Zucker, Salz und Sesamöl. Der Pragmatismus sagt auch hier Hallo: Wie genau ich die Nudeln koche, sei nicht wichtig, solange sie während des Kochens oder Essens nicht zerbrechen. Die Symbolik des Gerichts, das wörtlich „Lang-Lebe-Nudeln“ heißt, speise sich aus der Länge der Nudeln. Die Eier im Rezept können weich gekocht, als Spiegelei oder pochiert hinzugegeben werden. Und ganz nach Chens Mantra der Einfachheit nehme ich Chinakohl anstelle des Pak Choi. Das Ergebnis ist lecker, die Zubereitung insgesamt einfach.

Was mir fehlt, sind Rezeptbezeichnungen in chinesischen Schriftzeichen oder Pinyin-Lautschrift. Ohne kann ich die chinesische Aussprache nur erahnen. Ich möchte das Rezept aber möglichst richtig aussprechen, wenn ich meinem Kollegen morgens beim Kaffee davon erzähle. Das ist das einzige Manko dieser ansonsten liebevoll gestalteten, persönlichen Zusammenstellung chinesischer Gerichte.

Sissi Chen: Einfach chinesisch. Dumont Verlag. 192 Seiten, 30 Euro