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Beste Stimmung dank verdrängter Probleme

Die Fußballer des FC Bayern und Trainer Tuchel scheinen sich vor dem Duell gegen Real Madrid nicht nur arrangiert, sondern auch gefunden zu haben

Aus MünchenElisabeth Schlammerl

Manchmal, hat Thomas Tuchel neulich erzählt, wache er nachts auf und er hat plötzlich diese Bilder vor Augen. Die von besonders bitteren Niederlagen, auch jenen, die weit in der Vergangenheit liegen. Gut möglich, dass den Trainer des FC Bayern in diesen Tagen nicht nur das Champions-League-Hinspiel gegen Real Madrid an diesem Dienstag beschäftigt, sondern er sich schlaflos im Bett herumwälzt mit der Erinnerung an sein bisher letztes Aufeinandertreffen mit den Spaniern, an jenen Abend im Bernabéu-Stadions im April 2022, als er mit Chelsea gewonnen und doch verloren hat. Seine Mannschaft, die im Jahr davor die Königlichen im Halbfinale noch ausgeschaltet hatte, dominierte den Gegner wieder, ja sie deklassierte ihn fast schon, führte 3:0 und hatte alles im Griff, ehe Madrid in den letzten zehn Minuten zwei Tore erzielt und weiterkam.

Das Real, auf das die Bayern an diesem Dienstag in der Münchner Arena treffen, unterscheidet sich nicht sehr von dem Real vor zwei Jahren, wie Tuchel feststellte. „Man sieht es nicht kommen“, dass im Strafraum gleich etwas passiere, sagt er. Die Madrilenen schießen Tore und kreieren Chancen aus dem Nichts.

Ein bisschen schaffen das seine Bayern in diesen Wochen ja auch. Gegen Arsenal zum Beispiel. In diesen beiden Spielen im Viertelfinale gegen die Londoner, sagt Leon Goretzka im Interview der vereinseigenen Homepage, sei „etwas entstanden“. Man habe es in der Kabine gespürt. „Das könnte der Anfang von etwas Großem sein.“ Und mittendrin ist Tuchel, als Teil der Geschichte.

Wandel zum Positivdenker

Der Erfolg in der Champions League hat auch ihn verändert. Er wirkt für seine Verhältnisse gelöst. Die Mannschaft scheint festgestellt zu haben, dass es gar nicht so falsch ist, was dieser Tuchel ihnen erzählt, dass er manchmal ganz gute Antworten auf knifflige Gegnertaktiken hat und dass es mit dem Ziel Wembley vor Augen nicht ausschlaggebend ist, einen so empathischen Trainer wie einst Jupp Heynckes zu haben.

Und Tuchel hat wohl eingesehen, dass er mit seinem ewigen Klagen nicht weiterkommt. Gegen Real ist eine Reihe von Spielern angeschlagen, ob Mat­thjis de Ligt, Konrad Laimer, Jamal Musiala, Leroy Sané und Dayot Upamecano einsatzfähig sind, wird sich erst noch entscheiden. Das nimmt er hin und sucht Lösungen, statt sich wie noch im Winter über die Kaderplanung aufzuregen. Er sagt, Serge Gnabry werde nach seiner Muskelverletzung spielen können – und „er wird ein Tor schießen“. Tuchel gibt den Spielern einen Plan an die Hand, aber auch wenn nicht immer alles perfekt klappt, versucht er nun, eher das Positive herauszustellen.

Ebenso die Störfeuer, für die Ehrenpräsident Uli Hoeneß gesorgt hatte, versucht er zu ignorieren. „Sag ich nichts dazu“, ließ Tuchel mit einem Lächeln wissen. „Das Thema ist abgehakt.“

Sie haben sich nicht nur arrangiert, sondern doch noch gefunden, Tuchel und die Mannschaft. „Er hat sich auch ein Stück weit an die Mannschaft angepasst“, sagt Joshua Kimmich. Sie sind vereint, das große Ziel zu erreichen, Real Madrid auszuschalten und nach Wembley zu fliegen und dort wie 2013 den Henkelpott zu holen. Ob dieses Miteinander auch funktionieren würde, ginge es weiter, ist nicht gewiss, eher fraglich. Die Schwierigkeiten sind ja nicht gelöst, sondern nur verdrängt, und das klappt meistens nur einen kürzeren Zeitraum.

Die Fans sind da anderer Meinung. Die seit rund einer Woche laufende Petition, mit Tuchel am Saisonende doch weiterzumachen, hat mittlerweile mehr als 17.000 Unterstützer.

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