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Rekommunalisierung der FernwärmeBerlin und sein Holz

Die Stadt kauft die Energieinfrastruktur des Vattenfall-Konzerns zurück. Naturschutzorganisationen kritisieren den Deal als nicht klimaneutral.

Verstolperter Schritt für die Klimawende: Das Kraftwerk in Reuter West soll bis zu 37 Tonnen Frischholz pro Stunde verschlingen Foto: Jens Kalaene/dpa

Berlin taz | „Wir sind hier, wir sind laut“, erschallt der Schlachtruf aller Klimabewegten am Donnerstagvormittag vor dem Roten Rathaus. Allerdings ist der Platz zwischen dem Sitz des Regierenden Bürgermeisters und dem Neptunbrunnen weitgehend leer. Nur eine kleine Phalanx von rund 20 AktivistInnen hat sich mit Transparenten und Plakaten hier aufgebaut – eine „Banneraktion“, wie es die aufrufenden Organisationen nennen. Ihr Motto: „Kein Wald ins Kraftwerk!“

Die Aktion richtet sich halb gegen den Vattenfall-Konzern, halb an das Land. Denn schon in der kommenden Woche wird Berlin die gesamte Energieinfrastruktur der Schweden für 1,6 Milliarden Euro zurückkaufen: ein knappes Dutzend große und rund 100 kleine Kraftwerke sowie das dazugehörige Fernwärmenetz. Ein großer Schritt für die Rekommunalisierung, ein verstolperter für die Klimawende, meinen die Umweltbewegten.

„Berlin hat verschlafen, den Ausstieg aus fossilen Energieträgern anständig zu steuern“, ruft Eric Häublein vom Nabu ins Megafon. Vattenfall vererbe dem Land darum nun zwar den Ausstieg aus der Kohle, aber gleichzeitig einen noch größeren Einstieg ins Erdgas – und die Holzverbrennung. „Wie unkreativ ist das eigentlich?“, fragt Häublein sarkastisch.

Am Freitag kommender Woche will der Senat den Deal mit Vattenfall gebührend feiern. Kurz zuvor, so die Kritik von Nabu, BUND, Robin Wood und anderen, habe das private Unternehmen noch das Genehmigungsverfahren für ein neues Holzheizkraftwerk am Spandauer Standort Reuter-West gestartet. Es ist Teil des von Vattenfall im vergangenen Jahr vorgelegten „Dekarbonisierungsfahrplans“, der eine massive Ausweitung der Holzverfeuerung vorsieht.

Auf einen Anteil von 17 Prozent aller eingesetzten Energieträger sollen laut „Fahrplan“ im Jahr 2030 die verschiedenen Holzsparten klettern – vom frisch geschlagenen Holz aus Wäldern und kurzlebigen Pappelplantagen bis zu Altholz und Sägeabfällen. Heute sind es gerade mal 1 Prozent – in absoluten Zahlen knapp 100.000 Tonnen Holz pro Jahr. Nach Berechnungen des Nabu müsste diese Menge bis 2030 auf rund 1,6 Millionen Tonnen ansteigen, um den angestrebten Anteil am Energiemix zu erreichen.

Alle fünf Wochen ein Tiergarten

Man kann das Rechenexempel aber auch anschaulicher machen: Das neue Kraftwerk in Reuter-West soll bis zu 37 Tonnen Frischholz pro Stunde verschlingen. Dafür würde laut den DemonstrantInnen eine Waldfläche in Größe des Tiergartens gerade mal fünf Wochen reichen. Und bei einem Hochfahren auf 1,6 Millionen Tonnen pro Jahr wären die gesamten Berliner Wälder nach drei Jahren „ratzfatz weg“, wie Häublein sagt. Natürlich würde der Wald nicht hier, sondern anderswo abgeholzt, sei es in Brandenburg, Skandinavien oder Osteuropa – besser macht es das nicht.

Dass Holz immer noch als klimaneutraler Brennstoff gilt, ist dabei ein Hohn. Denn spätestens wenn nicht nur in Berlin, sondern überall Bäume für unseren Energiehunger verbrannt werden, kippt die CO2-Bilanz dieses Energieträgers komplett.

Wirklich klimaneutral wäre Holzverbrennung nur, wenn in jedem Zeitraum immer exakt so viel Holz nachwächst, wie unter dem Kraftwerkskessel zu Asche zerfällt. Das kann nicht klappen. Weshalb Neelke Wagner vom Verein Powershift fordert: „Die Rekommunalisierung der Fernwärme bietet die Chance, Vattenfalls Erbe auszuschlagen und die Weichen für eine demokratische und klimagerechte Wärmeversorgung zu stellen.“

Die Aktion fand übrigens am „Tag des Baumes“ statt, der in Deutschland am 25. April 1952 von der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald eingeführt wurde. Damals waren durch die sogenannten Reparationshiebe der Alliierten 10 Prozent der deutschen Wälder kahl geschlagen worden. Mit einem „Substitutionshieb“ für Kohle und Gas stünde uns bald wohl Ähnliches ins Haus.

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