Die Wahrheit: Die christliche Fett-weg-Spritze
Die Christfluencerin „Jana Highholder“ ist 26 Jahre alt, kommt aus Koblenz und versteht als Ärztin etwas von Nächstenliebe der besonderen Art.
I n den USA wurde schon so manche evangelikale Kirche nur gegründet, um deren Gottesdienste landesweit im Fernsehen übertragen zu können. Denn nur so ergibt sich die Möglichkeit, Schwule und Lesben mit möglichst großer Reichweite zu hassen und gleichzeitig über regelmäßige Spendenaufrufe die Luxuswagen-Flotte des jeweiligen Kirchenbosses zu finanzieren.
Inzwischen werden im Christenmilieu aber auch modernere Medien genutzt, vor allem von missionarisch beseelten jungen Menschen, den „Christfluencern“. Auch in Deutschland. Auf YouTube, Instagram und TikTok bringen es die gläubigen Teens und Twens auf beachtliche Followerzahlen.
Auf ihren Accounts erzählen sie ihren jungen Jüngern, was reaktionäre Christen labilen Menschen eben so erzählen: Warum Abtreibung und Homosexualität Sünden sind, dass Männer Männer und Frauen gefälligst Frauen bleiben sollen, und sie loben die Freuden der vorehelichen Keuschheit. Zwischendurch wuscheln sie sich „cute“ durchs Haar, ordnen nachdenklich ihren Dutt oder tanzen auch mal unmotiviert zu Popmusik. Und hier und da streuen sie ein „nice“ oder „instantly“ in ihre Predigt-Reels.
Einer der Stars der deutschen Jesus-Szene ist Jana Hochhalter, die sich als Christfluencerin „Jana Highholder“ nennt. Die 26 Jahre alte Koblenzerin ist ein hyperaktiver Tausendsassa: Autorin von mindestens sieben Büchern, Podcasterin, Poetry Slammerin, „Speakerin“. Und sie sieht zudem nach den üblichen Internetmaßstäben gut aus. Wie überraschenderweise alle Christfluencer, ob Mann oder Frau – dazwischen gibt es bei denen ja nichts.
Neben ihrer Christfluencerei arbeitet die gerade fertig studierte Medizinerin Jana auch noch als Ärztin. Auch das ist für sie eine Art Gottesdienst. Von allen Medizinbereichen, in der man als frommer Mensch Nächstenliebe praktizieren könnte, hat sie sich einen ganz besonderen ausgesucht: Sie bietet in einer Privatpraxis in einem Wellnesshotel „ästhetische Medizin“ an.
Dort kann man sich so allerhand injizieren lassen: Botox (ab 250 Euro), „Skinbooster“ (ab 290 Euro), Hyaloron (ab 300 Euro) oder die „Fett-weg-Spritze“ (ab 350 Euro). Ein Spötter würde jetzt womöglich fragen: Unterstützt sie auf diese Weise nicht den Äußerlichkeitswahn einer egozentrischen, sexbesessenen Fleischmarkt-Gesellschaft? Verrichtet sie damit nicht das Werk Satans?
Das Gegenteil ist richtig. Jana weiß, dass sie auserwählt ist und dass nicht alle Gläubigen so gut aussehen können wie sie. Vor allem aber weiß sie, dass der Fanatismus die Gesichter der meisten Frömmler langfristig brutal zeichnet. Und deswegen spritzt sie ihren Glaubensbrüdern und -schwestern die Enthaltsamkeitsfalte zwischen den Augenbrauen glatt, pufft ihre verkniffen-schmalen Bigotterielippen auf und lässt per Lypolyse denGlaubenskummerspeck um die Hüften verschwinden. Eine schönere Definition von „Caritas“ kann es gar nicht geben.
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