Ein erster Schritt zu mehr Erträglichkeit

Am Mittwoch debattiert der Bundestag einen Gesetzentwurf zu sogenannten Gehsteigbelästigungen. Um Schwangere besser vor Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen zu schützen, sollte noch nachgebessert werden, sagt Juristin Céline Feldmann

Radikale Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen protestieren nicht nur wie hier bei einer Demonstration 2022 in München, sondern bedrängen auch ungewollt Schwangere vor Arztpraxen Foto: Sachelle Babbar/imago

Interview Patricia Hecht

taz: Frau Feldmann, die Bundesregierung will Schwangere besser vor Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen schützen. Was genau ist das Problem?

Céline Feldmann: Es kommt leider oft vor, dass sich selbsternannte Le­bens­schüt­ze­r*in­nen vor Beratungsstellen für ungewollt schwangere Personen oder gynäkologischen Praxen einfinden und Fotos zum Beispiel von zerstückelten Föten verteilen. Sie nehmen mit Plakaten und Gesängen lautstark Raum ein und erschweren den Zugang zu den Praxen erheblich. Schwangere Personen werden damit oft verunsichert, dem Personal in den Praxen erschwert das die Arbeit.

Dagegen kann man bisher nichts machen?

Es gibt zumindest keine bundeseinheitliche Regelung. Vollzugsbehörden und Rechtsprechung gehen sehr unterschiedlich mit solchen Situationen um. Das führt dazu, dass diese sogenannten Gehsteigbelästigungen selten unterbunden werden und insgesamt zu einer enormen Rechtsunsicherheit. Schwangere Personen, Beratungspersonal und medizinisches Personal werden großen Belastungen ausgesetzt.

Worauf zielt der Gesetzentwurf, den der Bundestag am kommenden Mittwoch diskutieren wird?

Einmal auf Prävention, zudem auf Repression, also auf das Ordnungswidrigkeitenrecht. Präventiv sieht er Schutzzonen vor, dass also im Bereich von 100 Metern rund um Praxen und Beratungsstellen bestimmte Handlungen verboten sind. Repressiv können diese als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden. Betroffene können die Polizei rufen, wenn sie die beschriebenen Belästigungen unterbinden möchten.

Wie finden Sie das?

Wir als Deutscher Juristinnenbund finden es grundsätzlich positiv, dass dieses Gesetz endlich kommen soll. Es ist sehr gut, wenn sich die Bundesregierung dazu bekennt, schwangere Personen schützen zu wollen. Sehr gut ist auch, dass durch das Gesetz klargestellt werden soll, dass die Länder den Auftrag haben, einen ungehinderten, also ganz praktischen Zugang zu Einrichtungen der Beratung und der Versorgung für schwangere Personen sicherzustellen. Und schließlich ist wichtig, dass die statistische Erfassung erweitert wird.

Was bedeutet das?

Bisher mangelt es an Daten, also an der Erfassung der Praxen und Kliniken, die Abbrüche vornehmen. Das soll nun nicht mehr nur auf Bundeslandebene passieren, sondern bis hinunter in die Regionen und Kreise. Das ist wichtig, weil es zum Beispiel in Bayern zwar generell keine gute Versorgungslage gibt. Aber es gibt große Unterschiede zum Beispiel zwischen dem Großraum München und Oberfranken. In Oberfranken müssen Sie weit fahren, wenn Sie einen Abbruch brauchen. Es braucht also kleinteiligere Informationen.

Ist ein solches Verbot nicht ein Eingriff in Grundrechte?

Es ist wichtig, Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu schützen. Demgegenüber müssen aber auch reproduktive Rechte gesichert werden.

Haben Sie auch Kritik am Gesetzentwurf?

Das Gesetz Per Gesetz sollen sogenannte Gehsteigbelästigungen, bei denen Ab­trei­bungs­gegner*innen Schwangere etwa vor Beratungsstellen oder gynäkologischen Praxen stören, bundesweit unterbunden werden. Am 10. April wird darüber im Bundestag debattiert.

Die Studie In der Elsa-Studie haben 25 Wissenschaftlerinnen erstmals bundesweit untersucht, wie Frauen ungewollte Schwangerschaften verarbeiten und wie sich die Versorgung weiterentwickeln lässt. Erste Ergebnisse werden am 10. April vorgestellt.

Die Kommission Am 15. April soll die Sachverständigenkommission für reproduktive Rechte ihre Ergebnisse vorstellen. 18 Expert*innen für Medizin, Ethik und Recht haben unter anderem untersucht, ob Abtreibungen auch außerhalb des Strafgesetzbuchs geregelt werden könnten. (taz)

Wir kritisieren die Ausgestaltung im Detail. Es braucht bei einzelnen Handlungen zum Beispiel Absicht oder Wissentlichkeit, es braucht also höhere Anforderungen an das juristische Kriterium des Vorsatzes, damit die Handlungen der selbsternannten Le­bens­schüt­ze­r*in­nen verboten werden können. Je höher aber die Anforderungen an bestimmte Handlungen sind, desto schwerer sind sie nachzuweisen und desto weniger Fälle werden von den Kriterien letztlich erfasst.

Sie fordern, die Schwelle zu senken?

Ja. Wir finden, dass Belästigungen schon störend sind, wenn der Vorsatz nur bedingt gegeben ist. Das ist dann der Fall, wenn Personen zumindest billigend in Kauf nehmen, dass sie ihre Meinung anderen aufdrängen oder diesen ein Hindernis bereiten. Zudem sollte die Handlung des „erheblich unter Druck Setzens“ kein sogenanntes Erfolgsdelikt sein.

Das heißt?

Sie soll unserer Meinung nach nicht dazu geführt haben müssen, dass die schwangere Person tatsächlich unter Druck gesetzt wurde – es muss genügen, dass das möglich war. Auf die Verletzlichkeit der betroffenen Person darf es nicht ankommen. Zusätzlich kritisieren wir das Kriterium des Aufdrängens „gegen den erkennbaren Willen“. Damit wird der schwangeren Person die Verantwortung auferlegt, zu vermitteln, dass sie die Situation ablehnt. Aber man sollte grundsätzlich davon ausgehen können, dass aufgedrängte Meinungen unerwünscht sind.

Foto: privat

Céline Feldmann, 29, ist Vorsitzende der interkommissionellen Arbeitsgruppe Schwangerschaftsabbruch beim Deutschen Juristinnenbund.

Der DJB hat seine Kritik bereits in einer Stellungnahme formuliert. Wurden Sie damit gehört?

Bisher gab es keine Änderungen am Referent*innenentwurf. Erfreulich ist aber, dass wir zur ersten Anhörung nach der Plenumsdebatte eingeladen sind, um unsere Position zu erläutern. Ich bin gespannt, was dabei rauskommt.

Es stehen noch weitere Ereignisse zum Thema an: Die von der Bundesregierung einberufene Kommission für reproduktive Rechte will ihr Votum vorstellen, ob Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden sollen. Außerdem stehen Ergebnisse der Elsa-Studie an, die erstmals Lebenslagen ungewollt Schwangerer untersucht. Wie bewerten Sie den Gesetzentwurf in diesem Kontext?

Dass Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich kriminalisiert werden, ist unerträglich. Wir hier in Deutschland schauen gern kritisch auf die USA – aber auch hierzulande müssen schwangere Personen teilweise ins nächste Bundesland reisen, um einen Abbruch vornehmen lassen zu können, teils bis zu 150 Kilometer weit. Der Gesetzentwurf zu Gehsteigbelästigungen kann ein erster Schritt sein, die Situation schwangerer Personen erträglicher zu machen. Aber das große Ziel muss Entkriminalisierung und Ent­stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen sein. Dafür ist immens wichtig, dass die empirischen Ergebnisse der Elsa-Studie kommen. Die Kommission wird zudem hoffentlich eine Regelung außerhalb des Strafgesetzbuches empfehlen. Alles in allem bleibt nur ein Appell an die Bundesregierung, die reproduktiven Rechte schwangerer Personen endlich ernst zu nehmen.