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Die Gesetze des Willkürstaates

Die Journalistin Sabine Adler sieht in ihrem fundierten Buch „Was wird aus Russland?“ das Land zwischen Krieg und Selbstzerstörung

Von Barbara Oertel

Es ist durchaus möglich, dass wir Zeu­g*in­nen der Geburt eines Heldenmythos sind, der zur Achse einer neuen russischen demokratischen Bewegung werden könnte. Auf jeden Fall ist die Bewunderung Tausender Menschen für Alexei Nawalny beeindruckend und gibt Hoffnung“, heißt es in einer Mail des im Exil lebenden russischen Menschenrechtlers Sergei Lukaschewski über die Beerdigung des Kremlkritikers an die Autorin dieses Beitrags.

Hoffnung ist gut, aber sie allein reicht nicht. Wie ist es um die Opposition in Russland bestellt? Wie lange wird Moskaus Angriffskrieg gegen die Ukraine noch dauern und sich Staatschef Wladimir Putin an der Macht halten können? Und was hat beides miteinander zu tun? Drängende Fragen wie diese stellen sich dieser Tage viele.

In ihrem jüngst erschienenen Buch „Was wird aus Russland? Über eine Nation zwischen Krieg und Selbstzerstörung“ geht die Journalistin und renommierte Osteuropaexpertin Sabine Adler das Thema umfassender an. Trotz zunehmender Einschränkungen der Berichterstattung aus Russland (auch die Tage dort ansässiger ausländischer Jour­na­lis­t*in­nen könnten gezählt sein) sei das Land keine Black Box, schreibt Adler in ihrem Vorwort. Die Analyse und Einordnung des derzeitigen Kräfteverhältnisses sei sehr wohl möglich, Entwicklungen vorauszudenken für eine Zukunft mit Russland seien unabdingbar.

Die Ankündigung hält, was Adler verspricht – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ihre gut lesbare Abhandlung, so fundiert wie deprimierend, enthält auch für russlandkundige Le­se­r*in­nen viele spannende, andernorts eher unterbelichtete, Aspekte.

Sabine Adler: „Was wird aus Russland? Über eine Nation zwischen Krieg und Selbstzer­störung“. Ch. Links Verlag, Berlin 2024, 336 Seiten, 22 Euro

Das Buch gibt einen guten Einblick in die Führungsspitze des Landes, porträtiert die wichtigsten politischen, militärischen (beispielsweise die Wagner-Gruppe) sowie wirtschaftlichen Akteure und leuchtet die Untiefen der russischen Gesellschaft aus. Rückgriffe auf historische Ereignisse, die bisweilen auch weit vor Putins Machtantritt liegen, lassen ein größeres Bild entstehen. Dadurch wird eine fatale, keineswegs jedoch zwangsläufige Entwicklung sichtbar, die vor allem viele westliche Po­li­ti­ke­r*in­nen nicht zur Kenntnis nehmen wollten.

Oder wie es bei Adler an einer Stelle heißt: Sowohl „Gerhard Schröder als auch Angela Merkel verfolgten Moskau gegenüber eine Politik, die von wirtschaftlicher Kooperation und bestenfalls sporadischer politischer Schadensbegrenzung geprägt war“.

Ein längeres Kapitel ist den nichtrussischen Völkern in der Russischen Föderation, wie Tschetschen*in­nen, Bur­jat*in­nen, Kal­mük*in­nen, Tatar*in­nen, Ja­ku­t*in­nen und Basch­ki­r*in­nen gewidmet. Diese nationalen Minderheiten laufen meist vollständig unter dem Radar. Dabei sind sie es, deren Männer an der Front in der Ukraine einen besonders hohen Blutzoll entrichten. Ob eigener traumatischer Erfahrungen diskutieren Ak­ti­vis­t*in­nen vermehrt über Russlands Kolonialismus, der von offizieller Seite beschwiegen wird. Vielleicht ist das auch ein Grund für das zaghafte Entstehen nationaler Sezessionsbewegungen.

Für Sabine Adler ist der Ausgang des Kriegs in der Ukraine entscheidend für die „Überlebensdauer“ von Putins Regime

Dennoch sei laut Adler derzeit eine größere Mobilisierung nicht zu erwarten. Denn diesen Bewegungen fehle es an Schlagkraft. Zu einem ähnlichen Befund kommt die Autorin auch hinsichtlich der russischen liberalen Opposition, deren führende Ver­tre­te­r*in­nen entweder im Gefängnis sitzen oder außer Landes gegangen sind. Das Manko letzterer Gruppe sei, dass sie nicht mit einer Stimme spreche.

Und der Krieg in der Ukraine? Auch hier ist die Lektüre lohnend, um sich noch einmal die Genese dieses epochalen Ereignisses zu vergegenwärtigen. Für Adler ist der Ausgang dieses Krieges entscheidend für die „Überlebensdauer“ von Putins Regime. Scheitert Putin, sei seine politische Karriere zu Ende. Gewänne er, würden die Gesetze des russischen Willkürstaates bestätigt – ein „Gütesiegel für sein Regime, das versuchen wird, seine Schreckensherrschaft immer weiter auszudehnen.“

Angesichts aktueller kleinteiliger Debatten deutscher Po­li­ti­ke­r*in­nen über die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine sollte diese Einschätzung endlich ernst genommen werden.

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