Schulleiter über Sinti und Roma im Sport: „Viele haben immer noch Angst“
Andrzej Bojarski wollte jungen Sinti und Roma beweisen, dass es erfolgreiche Sportler*innen in ihrer Minderheit gibt. Entstanden ist eine Ausstellung.
taz: Wie sind Sie darauf gekommen, sich mit Sinti und Roma im Sport zu beschäftigen, Herr Bojarski?
Andrzej Bojarski: Als junger Lehrer in Nienburg an der Weser gehörten einige meiner Schüler zur Minderheit der deutschen Sinti. Von Sinti und Roma hatte ich zwar schon gehört, aber richtig vorbereitet war ich durch meine Ausbildung auf das Thema nicht. Ich habe die Schüler dann gefragt, ob sie mir etwas über Sinti und Roma erzählen können. So kamen wir ins Gespräch.
Wie groß war die Bereitschaft, mit Ihnen über ihre Herkunft zu sprechen?
Ganz offen dafür waren sie am Anfang nicht. Aber aufgrund meines Namens haben sich dann einige auch für meine Herkunft interessiert. Als ich dann den ehemaligen Boxer Oswald Marschall kennengelernt habe, hat er mir manche Türen geöffnet. So habe ich immer besser verstanden, wie sich die Schüler aus der Minderheit fühlen. Man kann es so zusammenfassen: Wir fallen überall durch, und es ist nicht einfach, im Leben weiterzukommen.
Wie kam die Verbindung zum Sport zustande?
Mich hat der Ehrgeiz gepackt, den Schülern zu beweisen, dass es erfolgreiche Sportler in ihrer Minderheit gibt. Kinder lernen am besten durch Vorbilder. Im örtlichen Box-und Kampfstudio hatte ich eine AG geleitet und Oswald Marschall kennengelernt. Er tauchte als Trainer mit zwei Boxern auf, die er auf die deutsche Meisterschaft vorbereitete. Bei unserem nächsten Treffen hat er mir in einem achtstündigen Interview aus seinem Leben erzählt. Wir sind dann zusammen in die Sportarchive in Köln und Leipzig gegangen und haben über seine Karriere recherchiert. Außerdem haben wir versucht, noch andere Sportler aus der Minderheit ausfindig zu machen.
In der daraus entstandenen Wanderausstellung „Abseits im eigenen Land“ portraitieren Sie bislang drei Sportler. Neben Oswald Marschall die Fußballer Walter Laubinger und Sergio Peter. Hatten Sie damit gerechnet, mehr Sportler zu finden?
45, ist Didaktischer Leiter an der Oberschule in Marklohe bei Nienburg. Er hat mit dem Ex-Boxer und stellvertretenden Vorsitzenden des Dokumentationszentrums Deutscher Sinti und Roma, Oswald Marschall, die Ausstellung „Abseits im eigenen Land“ gestaltet.
Die Suche war in der Tat nicht einfach. Es gibt viel mehr Leistungssportler, die aus der Minderheit kommen, auch im Profi-Fußball. Aber viele haben immer noch Angst, dass das bekannt wird. Ohne Oswald Marschall hätte ich auch nicht den Kontakt zu Walter Laubinger und Sergio Peter bekommen. Aber durch ihn haben die Sportler und ihre Familien ihre Archive geöffnet. Die sind viel ergiebiger als die öffentlich zugänglichen Archive.
Was waren Ihre prägendsten Erfahrungen bei den Interviews?
Mich hat erschrocken, wie viele Vorurteile und Stereotype es in der Mehrheitsgesellschaft immer noch gegenüber den Angehörigen dieser Minderheit gibt. Ich konnte nicht verstehen, mit welchen Ängsten – zum Beispiel vor der Polizei – die zweite und dritte Generation nach dem Völkermord aufgewachsen ist. Mich hat der Ehrgeiz gepackt, die Mehrheitsgesellschaft für die Situation der Minderheit zu sensibilisieren – durch die Ausstellung, aber auch durch meine Arbeit in der Schule.
Haben die von Ihnen interviewten Sportler diese Diskriminierungen auch in ihrer sportlichen Laufbahn erlebt?
Sie sind oft mit den vorherrschenden Vorurteilen und Stereotypen in Berührung gekommen. Als zum Beispiel Familienmitglieder von Walter Laubinger beim Training zuguckten, hieß es gleich: typisch Großfamilie.
Walter Laubinger galt als Riesentalent, war 1987 mit dem HSV Deutscher Pokalsieger, wurde ein halbes Jahr später nach Bayreuth ausgeliehen und hat 1989 seine Profikarriere als 22-Jähriger beendet.
Walter Laubinger hat nicht direkt gesagt, dass er diskriminiert wurde. Er hat aber berichtet, dass er damals unter Trainer Ernst Happel keinen leichten Stand hatte, obwohl er 1986 bei der U18-Europameisterschaft als bester Spieler ausgezeichnet worden war.
Zeigt Ihre Ausstellung auch, wie durch den Sport das Selbstbewusstsein wächst? Ein Ziel war es ja, Vorbilder zu präsentieren.
Alle Beispiele zeigen, wie sie durch den Sport die Möglichkeit erhalten haben, sich unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft zu profilieren und zu verständigen. Oswald Marschall und Sergio Peter haben bei der Ausstellung auch persönlich von ihren Karrieren erzählt – das ist für die Jugendlichen etwas anderes, als in Büchern oder im Internet irgendwelche Fotos zu sehen und Interviews zu hören. Peter hat für Blackburn Rovers in der Premier League gekickt. Und Marschall hat für Deutschland bei den Europameisterschaften geboxt.
Was ist aus Ihrem zweiten Ziel geworden, die Mehrheitsgesellschaft zu sensibilisieren?
Das passiert zum Beispiel, wenn Oswald Marschall erzählt, dass er von seiner Leistung her eigentlich für die Olympischen Spielen 1976 hätte nominiert werden müssen. Er wäre der erste deutsche Sinto bei Olympia gewesen, aber der Boxverband machte vor der Qualifikation klar, ihn auf keinen Fall zu nominieren. Daraufhin hat auch er mit 22 frustriert seine Karriere beendet. Nie hat jemand versucht, ihn zurückzuholen.
Wie ist die Rückmeldung auf die Ausstellung?
Um noch stärker für das Thema zu sensibilisieren, hätte ich mir gewünscht, dass sie stärker angefragt worden wäre. Wir hatten leider nicht die Kapazitäten, in diese Richtung noch aktiver zu werden. Wir haben die Ausstellung jetzt erweitert und hoffen, sie im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund zeigen zu können. Das wäre ein richtiger Schub.
Worin besteht die Erweiterung?
Es sind vier Akteure dazugekommen: die polnischen Roma Gerard und Damian Linder, die Kampfsport betreiben, der ehemaligen Zweitliga-Spieler des VFL Osnabrück, Mario Laubinger, sowie die Fußballerin Angel Theiß, die für den FSV Gütersloh in der 2. Liga gespielt hat. Im Sport ist es bislang noch ungewöhnlicher, dass eine Sintezza sich bereit erklärt, ihre Identität offenzulegen.
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