Sechs Wege, nicht unter die Räder zu kommen

Immer noch sterben viel zu viele Fuß­gän­ge­r:in­nen und Fahr­rad­fahre­r:in­nen im Stadtverkehr oder werden verletzt. Was kann man dagegen tun?

Weniger
Parkplätze

Die Idee

Stellflächen für Autos abschaffen oder zumindest nicht vergrößern

Das bringt’s

Autos müssen gar nicht fahren, um eine Gefahr für andere zu sein: Fast jeder fünfte Unfall, bei dem sich Fuß­gän­ge­r:in­nen und Rad­fah­re­r:in­nen verletzen, steht mit parkenden Fahrzeugen in Verbindung. Das hat die Unfallforschung der Versicherer, kurz UDV, ermittelt. Im Schnitt stehen Autos 23 Stunden am Tag, statt zu fahren, also 95 Prozent der Zeit.

Parkende Autos am Straßenrand können direkt und indirekt zu Unfallursachen werden. Teils kommt es zu Kollisionen, etwa beim Ausparken oder Öffnen der Autotür. Das Problem ist aber auch, dass die Fahrzeuge die Sicht auf den fließenden Verkehr verdecken. Alternativen sind neben privaten Grundstücken Parkhäuser und Tiefgaragen.

Denkbar ist außerdem, dass das Einschränken von Parkraum den Autoverkehr insgesamt reduzieren würde. Besonders in großen Städten stehen den meisten Menschen schließlich Alternativen bei der Fortbewegung offen – die attraktiver werden, wenn das Parken eines privaten Autos unbequemer oder teurer wird. Außerdem könnte der frei werdende Platz für gute Radwege und Bürgersteige genutzt werden. Das Parkplatzstreichen hätte dann auch auf diesem Weg noch einen positiven Effekt auf Sicherheit – und aufs Klima.

Daran hakt’s

Während die einen davon schwärmen, wie schön man Parkraum für Radwege, Sitzbänke, Blumenbeete oder Spielplätze nutzen könnte, sind die anderen am lautstarken Stöhnen, sobald es um die Reduktion von Autostellplätzen im öffentlichen Raum geht: Kommunen machen sich nicht nur Freunde, wenn sie solche Pläne hegen. Viele schrecken deshalb davor zurück.

Teilweise spielen auch rechtliche Fragen eine Rolle. Bevor Kommunen beispielsweise in einem Stadtquartier auch nur Parkgebühren erheben dürfen, müssen sie erst mal einen hohen Parkdruck nachweisen. Auch dass Autos immer größer werden, ist ein Problem. Vor allem, weil die Verkehrsplanung dazu neigt, sich diesem Trend anzupassen, statt aktiv gegenzusteuern. Die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) empfiehlt zum Beispiel seit dem vergangenen Jahr breitere Parkplätze. Ihr Technisches Regelwerk gilt als Standard – obwohl die FGSV eigentlich nur ein eingetragener Verein und nicht demokratisch legitimiert ist. Susanne Schwarz

Fahrtests einführen

Die Idee

Regelmäßige Führerscheintests für Au­to­fah­re­r:in­nen

Das bringt’s

Die meisten Menschen machen ihren Pkw-Führerschein in jungen Jahren. Dann gilt er in Deutschland grundsätzlich für immer – auch wenn sie eine Weile nicht Auto fahren, ihnen ihre Gesundheit zu schaffen macht und sie deshalb weniger sicher unterwegs sind. Regelmäßige Fahrprüfungen und Gesundheitschecks könnten helfen.

Daran hakt’s

In 14 europäischen Ländern sind zumindest Gesundheitstests schon lange Standard, zum Beispiel in Belgien und Portugal. Trotzdem haben EU-Politiker:innen bisher eine europaweite Regel verhindert – vor allem deutsche Abgeordnete der SPD, CDU und FDP. Sie setzen auf die Eigenverantwortung der Fahrer:innen: Wer lange nicht gefahren ist, sich nicht mehr fit genug fühlt, wer merkt, dass die Sehkraft nachlässt oder dass Schulterblicke anstrengend werden, verzichte meist von sich aus aufs Autofahren. Oder lasse sich von sich aus medizinisch untersuchen.

Ein Problem ist auch, dass die Debatte sich oft auf ältere Fah­re­r:in­nen beschränkt. In Italien etwa müssen alle, die einen Führerschein haben, regelmäßig eine Fahrtauglichkeitsprüfung machen. Bei Tests für Ältere ist die Datenlage nicht ganz eindeutig. Einige Studien haben ergeben, dass Se­nio­r:in­nen aus Angst vor der Prüfung ihren Führerschein abgeben, auf andere Verkehrsmittel umsteigen und dort ihre Unfallquoten steigen. Sogenannte Rückmeldefahrten haben in Untersuchungen besser abgeschnitten: Au­to­fah­re­r:in­nen lassen sich auf einer standardisierten Strecke freiwillig von Fahr­leh­re­r:in­nen oder Ver­kehrs­psy­cho­lo­g:in­nen begleiten und bekommen Feedback zur Fahrweise. Nanja Boenisch

Erste Reihe für Fahrräder

Die Idee

Breite Streifen, auf denen sich Rad­fah­re­r:in­nen an Ampeln vor den Autos aufstellen dürfen

Das bringt’s

Die Autos stehen schon Schlange vor der roten Ampel. Die Gelegenheit für Radfahrer:innen, ein paar Meter gut zu machen, regelkonform rechts an ihnen vorbeizufahren und gleich vorne an der Ampel zu warten. Nur: Wer jetzt links abbiegen will, muss die Au­to­fah­re­r:in­nen meistens doch wieder passieren lassen. Wer geradeaus fährt, muss rechtsabbiegende Pkw fürchten.

Die sogenannten aufgeweiteten Radaufstellstreifen, kurz Aras, sollen das ändern. Aras sind markierte Flächen, die sich vor der Autospur an der Ampel über die gesamte Fahrbahnbreite erstrecken. Es gibt sie schon in mehreren deutschen Städten, zum Beispiel in Potsdam und Hamburg. Wenn Rad­le­r:in­nen auf dem Aras vor den Autos warten können, ist Abbiegen einfacher. Vor allem aber sind sie für Autofahrende besser zu sehen und damit sicherer. Wichtig ist, dass es zusätzlich eine Radspur rechts der Autos auf dem Weg zur Ampel gibt, damit die Fahr­rad­fah­re­r:in­nen überhaupt auf dem Aras ankommen. Und noch sicherer wird es mit bunten Markierungen: Rote Einfärbungen auf der Fläche vor den Autos halten Pkw-Fahrer:innen öfter davon ab, doch kurz drüber zu fahren.

Daran hakt’s

Wenn Kommunen dort Platz für Fahrräder schaffen wollen, wo sich bisher ein Fahrstreifen für Autos befindet, müssen sie das aufwendig begründen. Das liegt an der Straßenverkehrsordnung, der fließende Verkehr der Pkw hat Vorrang. Jeder neue Radweg gilt als Eingriff. Besondere Gefahrenstellen können einen Eingriff rechtfertigen – oft aber nur dann, wenn es schon mal Unfälle gab. Nanja Boenisch

Die KI steuern lassen

Die Idee

Den Verkehr durch selbstfahrende Autos sicherer machen

Das bringt’s

90 Prozent der Unfälle im Straßenverkehr gehen laut der Prüfgesellschaft Dekra auf menschliches Fehlverhalten zurück. Wir sind abgelenkt, müde, betrunken, reagieren nicht rechtzeitig und bauen Unfälle. In Deutschland liegt alleine die jährliche Zahl der Unfälle unter Alkoholeinfluss, bei denen Menschen zu Schaden kommen, um die 15.000.

Daran hakt’s

Zum einen steckt das Problem zwischen unseren Ohren. Verantwortung an einen Computer abgeben? Zu gefährlich! Dabei sind sich Ex­per­t:in­nen einig, dass die Zahl der Unfälle durch selbstfahrende Autos deutlich sinken würde – und das trotz einzelner Unfälle, die in der Vergangenheit aus den USA gemeldet wurden. Dort sind selbstfahrende Flotten in deutlich größerem Umfang unterwegs als hierzulande. Die Skepsis ist auch Folge einer Nachrichtendiskrepanz: Von jedem Unfall, an dem ein selbstfahrendes Auto beteiligt ist, ob als Verursacher oder nicht, erfährt die Welt. Wie etwa, als im vergangen Jahr in San Francisco ein Hund überfahren wurde. Hätte ein Mensch am Steuer gesessen, niemand hätte davon in den Schlagzeilen gelesen.

Dazu kommt, dass die Technik derzeit noch nicht ausgereift ist: Tunnel, Glätte oder schon Baustellen und Regen können dazu führen, dass die Software nicht mehr zuverlässig funktioniert. Und fürs Erste doch wieder der Mensch übernehmen muss.

Svenja Bergt

Anti-Sturz-Gummis

Die Idee

Straßenbahnschienen mit Gummis versiegeln

Das bringt’s

Straßenbahnschienen sind eine Gefahr für Rad­fah­re­r:in­nen. Nicht nur mit dünnen Rennradreifen gerät man beim Kreuzen der Schienen leicht in die Rille und stürzt. Eine Lösung ist das Velogleis, ein Gummiprofil, das die Spurrille ausfüllt und sie so verschließt. Radreifen, aber auch Rollstühle und Fuß­gän­ge­r:in­nen können sich so nicht mehr in der Schiene verhaken. Für die Straßenbahn ändert sich nichts, sie drückt das Elastomerprofil beim Drüberrollen runter. Danach dehnt sich das Material wieder aus und verschließt die Rille.

Daran hakt’s

Noch ist das Gummiprofil zu teuer. In Düsseldorf zum Beispiel testete die Rheinbahn das fahrradsichere Tramgleis. Ein Meter Gummischutz kostete 3.000 Euro, für die 20 Meter lange Testhaltestelle bedeutete das eine Investition von 60.000 Euro. Eine zu hohe Summe für die kurze Haltbarkeit der Gummidichtung. Denn die Tramräder schneiden das Gummi zu schnell auf oder wetzen es ab, woraufhin es aufwendig ausgewechselt werden muss.

Die Firma Sealable aus Thüringen stellt die Gummiprofile her und entwickelte mittlerweile eine dritte Version mit verbessertem Rezept. Die chemische Zusammensetzung wurde verändert und die Gummiprofile abgerundet. So sollen die Profile eine Million Mal von einer Straßenbahn überfahren werden können, bevor sie porös werden. In Basel existiert bereits so eine velosichere Strecke.

Laut Sealable hängt der Preis pro Meter von den Anforderungen ab. Queren nur Rad­fa­h­re­r:in­nen die Schienen oder auch Autos, schwere Busse oder womöglich Schwertransporte? Je nachdem liegen die Kosten zwischen 300 und 3.000 Euro pro Meter. Sophie Fichtner

Langsamer Auto fahren

Die Idee

Tempo 30 statt 50 als Regelgeschwindigkeit im Ort

Das bringt’s

Wenn Autos langsamer fahren, führt das zu weniger Lärm, weniger Energieaufwand, weniger Luftschadstoffen und zumindest etwas weniger CO2-Emissionen. Und es führt nachgewiesenermaßen auch zu weniger Unfällen mit schwerwiegenden Folgen. Das Umweltbundesamt und auch die Weltgesundheitsorganisation empfehlen deshalb, innerorts Tempo 30 als Standard einzuführen. Welche Erfolge das in puncto Verkehrssicherheit bringen kann, zeigt das Beispiel Helsinki. Seit Anfang 2019 gilt im Zentrum und in Wohngebieten der finnischen Hauptstadt das Tempo 30 – das erste Jahr, in dem dort kei­n:e Fuß­gän­ge­r:in oder Rad­fah­rer:in in einem Verkehrsunfall zu Tode kam.

Daran hakt’s

Die Regelgeschwindigkeit in Ortschaften – also derzeit Tempo 50 – ist in Deutschland auf Bundesebene geregelt. Das FDP-geführte Bundesverkehrsministerium ist aber „nicht überzeugt“ von flächendeckendem Tempo 30. Eine Reform des Straßenverkehrsgesetzes hatte zumindest den Kommunen mehr Spielraum beim Einrichten einzelner Zonen mit geringerer Geschwindigkeit geben sollen. Das scheiterte allerdings am Bundesrat, also am Widerstand der Bundesländer.

Kommunen müssen bisher aufwendig eine besondere Gefahrenlage nachweisen, um streckenweise Tempo 30 einzuführen. Viele Kommunen würden sich mehr Freiheiten wünschen. Die Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Ge­schwindigkeit“ setzt sich zum Beispiel dafür ein. Sie wurde 2021 von sieben Städten gegründet, mittlerweile sind mehr als 1.000 Gemeinden in ganz Deutschland Mitglied.

Susanne Schwarz