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Frühlingsbote?

Foto: Vuk Valcic/zuma/imago

Wo eben noch ein kahler Baum vor einer Brandwand die knotigen Äste gen Himmel reckte, brach über Nacht der Frühling aus. Zumindest wirkt es so, wenn man aus einem bestimmten Winkel auf die grünen Farbschlieren schaut, die jemand an die Hauswand gesprüht hat: Eine Krone aus leuchtendem Grün sitzt jetzt auf dem Geäst – ein wenig kindlich kommt die Farbhaube zwar daher, aber für die mit Naturerfahrung nicht sonderlich gesegneten Groß­stadt­be­woh­ne­r:in­nen reicht es. Das vorösterliche „Make­over“ macht sich jedenfalls gut auf Smart­phones und wurde sofort zum viralen Hit.

„Spring is here“, euphorisch teilten Pas­san­t:in­nen im Londoner Stadtteil Islington Baumbilder. Dank der mit Schablone gestalteten Figur unten in der Ecke, die ein Sprühgerät in der Hand hielt, war der Urheber des urbanen Kunstwerks schnell identifiziert: Banksy, Großmeister der Street-Art, hatte mal wieder zugeschlagen!

Banksy hat inzwischen offiziell bestätigt, Urheber des Werks zu sein. Da der Mann, der seine Identität geheim hält, zu den teuersten zeitgenössischen Künstlern gehört, erzeugt auch das neue Werk eine Riesenaufmerksamkeit. Die einen fragten sich: Was will der für gesellschaftskritische Kommentare bekannte Banksy damit sagen? Im britischen Guardian wiederum entsetzte sich die Gründerin einer lokalen Baumschutzinitiative über die naive Begeisterung: Warum, fragte sie, interessiere sich niemand für das Schicksal der brutal zurecht geschnittenen 50 Jahre alten Kirsche, die, so ihre Darstellung, von den Londoner Grünpflegeverantwortlichen wegen angeblicher Krankheit verkrüppelt worden war? Sie hätte auch naturbelassen noch einige Jahre in Würde leben können! Das von Banksy gewählte Giftgrün wiederum rief Spekulationen ganz anderer Art hervor: War es nicht derselbe Farbton wie auf den Straßenschildern von Islington, einem Stadtteil, der über wenig echte Grünflächen verfügt, aber seit ein paar Jahren unter steigenden Immobilienpreisen und Gentrifizierung ächzt? Ex-Labour-Chef Jeremy Corbyn, der den Bezirk Islington im Parlament vertritt, leitete aus dem Kunstwerk jedenfalls gleich die Forderung nach mehr Grün ab.

Ein solch subtiler Kommentar würde Banksy tatsächlich ähnlich sehen. Die Mie­te­r:in­nen des Gebäudes befürchten allerdings, dass ein echter Banksy auf ihrer Hauswand die Mieten in die Höhe treiben könnte – oder einen Verkauf des Gebäudes wahrscheinlicher macht.

Entweder hatte der Künstler selbst ein Einsehen oder die Nach­ba­r:in­nen haben zur Selbsthilfe gegriffen: Jedenfalls ist Mitte der Woche das „Baumgrün“ mit weißer Farbe überschüttet worden. Es war ein kurzer Frühling an der Brandwand in Islington.

Nina Apin

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