Die Wahrheit: Der Charme des Marschflugkörpers

Wo der Taurus geliebt und verehrt wird als intelligente Waffe im alltäglichen Leben. Ein Frontbericht aus dem oberbayerischen Schrobenhausen.

Zeichnung von Scholz auf einer Rakete

Illustration: Mario Lars

Eine schrille Sirene zerreißt die Morgenstille, Neugierige eilen zu den Fenstern, Ängstliche suchen Schutz unter den Betten. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wird im friedlichen Schrobenhausen Fliegeralarm ausgelöst: ein Nato-grünes, zigarrenförmiges Flugobjekt von fünf Metern Länge ist am Himmel über der idyllischen oberbayerischen Spargelmetropole aufgetaucht.

„Grüß Gott, i bin’s, der Taurus“, dröhnt es im gemütlich bayerischen Idiom über alle Dächer. Der autonom fliegende Marschflugkörper kreist zunächst um den Turm der Jakobskirche und landet dann auf dem Lenbachplatz im Herzen der Stadt. „I hob frische Semmeln und Weißwürscht mitbracht“, verkündet das Gerät, denn die hochmoderne Lenkwaffe verfügt nicht nur über ein ausgeklügeltes Navigationssystem, sondern auch über ein wandlungsfähiges Sprachmodul. Sogar eine Zapfanlage haben die findigen Ingenieure der Taurus Systems GmbH angeschraubt, denn heute wird sich das Kriegsgerät von seiner zivilen, sogar herzlichen Seite zeigen.

Nach dem Frühschoppen steht Taurus-Reiten auf dem umfangreichen Programm. Anschließend führt die agile Lenkwaffe mit Schü­le­r*in­nen des örtlichen Gymnasiums „Iphigenie auf Tauris“ als Tanztheater auf, dann gibt sie einen Rüstungsworkshop für Anfänger im Repaircafé. Abends liest die intelligente Waffe in der alten Schweißerei aus Tolstois „Krieg und Frieden“.

Für den Taurus ist der Auftritt in Schrobenhausen ein Heimspiel, schließlich wird der Marschflugkörper in einem Werk nur wenige Kilometer entfernt zusammengeschraubt. Viele Einwohner grüßen das Militärmonstrum wie einen alten Bekannten, manche hegen elterliche Gefühle. „Ich kannte den Taurus schon, da war er noch eine kleine Platine“, bekundet ein Mechatroniker, der in der Fabrik arbeitet.

Ungeliebte tödliche Waffe

So beliebt ist der Taurus nicht überall in Deutschland. Viele Deutsche haben regelrecht Berührungsängste mit tödlichen Waffen. Darauf verwies auch Bundeskanzler Scholz, der seine Weigerung, den Taurus an die Ukraine zu liefern, nicht zuletzt mit der mangelnden Akzeptanz in der Bevölkerung erklärte.

Deswegen hat der Freun­deskreis Taurus e. V., dem neben dem deutsch-schwedischen Hersteller auch Verteidigungspolitiker verschiedener Parteien angehören, die Abstandswaffe in eine Charmeoffensive an der Heimatfront geworfen.

In siebzehn deutschen Städten soll der Taurus nach dem Launch in Schrobenhausen beim Bürgergespräch auf Tuchfühlung gehen. Auch Stippvisiten im europäischen Ausland waren geplant, doch hat man in Rotterdam und London Blitzbesuche deutscher Raketen noch immer in eher unguter Erinnerung. Allerdings hat der hochkomplexe und sensible Bayer mit seinen destruktiven Vorgängern aus Peenemünde wenig gemein.

„Er fährt sich genauso gemütlich wie mein alter Saab“, freut sich ein pensionierter Lehrer, der eine Runde auf der Lenkwaffe drehen durfte. „Bisher war ich ein Kritiker von Waffenlieferungen, aber das Deutschreferat über den Begriff des Okkulten bei Strindberg hat mich überzeugt. Eins plus für den Taurus.“

Doch sogar in Schrobenhausen melden sich kritische Stimmen. Eine Frau bemängelt die unzeitgemäße Nomenklatur der Waffenindustrie: „Warum ist dieser Stierphallus mit einem Gefechtskopf ausgestattet, der „Penetrator“ heißen muss? Hallo, geht es noch sexistischer?“

Es geht durchaus noch sexistischer, müssen selbst militante Rüstungslobbyisten zugeben. Wenig inklusiv und heteronormativ zeigt sich die männerdominierte Branche: Sogar bei hochmodernen Waffensystemen dominieren pubertäre Fantasynamen wie „Storm Shadow“, technische Fachbezeichnungen wie „AGM-158 JASSM“ und anzügliche Potenzprotzerei.

Doch gerade weil Waffensysteme wie „Kobra“, „Maverick“ oder „Enforcer“ namentlich kaum von Sex Toys wie „Thruster“ und „Bang Bang“ zu unterscheiden sind, kommt es immer wieder zu peinlichen Verwechslungen. Zuletzt bestellte ein saudischer Militär im Internet versehentlich nicht etwa die serbische Panzerabwehrwaffe „Bumbar“, sondern eine Containerladung des Analspielzeugs „Bum Bar“ aus chinesischer Produktion.

„Die Rüstungsindustrie muss weg von diesem Schmuddel­image“, fordert auch Freundeskreis-Vorsitzende Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die schwere Waffen notfalls im Alleingang in die Mitte der Gesellschaft tragen will.

Beeindruckend ideales Geschoss

Sogar in Schulen und Kindergärten soll Taurus auf seiner Goodwillreise Station machen. Als Vertretungslehrer ist das beeindruckende Fünfmetergeschoss tatsächlich ideal: Millimetergenau kann es Zielobjekte auch auf dem Raucherhof lokalisieren und verfügt dank Mephisto-Gefechtskopf über profunde pädagogische Überzeugungskraft. Doch dient die ausgedehnte Promo-Tour der Lenkwaffe wirklich nur der Beruhigung der Bevölkerung?

Nachdem durch zahlreiche Indiskretionen bekannt wurde, wie komplex Programmierung und Bedienung des Taurus in Wirklichkeit sind, drängt sich ein Verdacht auf: Suchen ­Headhunter der Bundeswehr in der Zivilgesellschaft verzweifelt nach Technik­in­teres­sierten, die ihnen erklären können, wie man das verdammte Ding überhaupt richtig bedient?

Tatsächlich haben moderne Waffen einen Komplexitätsgrad erreicht, der ihren Einsatz beinahe unmöglich macht. Die Besatzung der Fregatte „Hessen“, die während der EU-Mission „Aspides“ im Roten Meer kreuzt, ist zum Beispiel dazu übergegangen, die Drohnen der Huthi-Miliz mit Steinwürfen vom Himmel zu holen, weil sie regelmäßig am Autorisierungsverfahren ihrer Boden-Luft-Raketen mit PIN, Push-TAN und Passworteingabe scheitert.

Angeblich wurde im Verteidigungsausschuss kürzlich die Option diskutiert, den noch weitaus kniffligeren Taurus nicht etwa an die Ukraine, sondern an den Kreml zu liefern, um russische Kräfte zu binden und die Schlagkraft von Putins Truppen zu mindern.

„Aus einer geheimen Sitzung Informationen preiszugeben, ist ein No-Go“, schäumt FDP-Politikerin Agnes Strack-Zimmermann und droht mit einer Anzeige wegen Geheimnisverrats.

In Schrobenhausen sind dennoch auffällig viele Uniformierte zu sehen, die jede Interaktion des Taurus mit der Bevölkerung protokollieren. Gerade proklamiert das Gerät einen „schweren Ausnahmefehler“, nachdem beim Zapfen eine Halbe Weißbier in die empfindliche Elektronik getropft ist. Abwechselnd meldet das Gerät einen „404-Error“, kündigt den Beginn der Zielerfassung an und singt schmutzige Lieder.

Offenbar folgt der Taurus wie der französische Präsident Macron jener politisch-militärischen Doktrin der „Strategischen Ambiguität“, nach der wirklich kein Machtmittel von vornherein ausgeschlossen werden darf.

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