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Die WahrheitIm Inneren der inneren Welt

Bei einer eigentümlichen Schaltung gelangt ein Wissenschaftler in eine geheimnisvolle Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit – mit fatalen Folgen.

A ls auf eigene Faust arbeitender Wissenschaftler war ich in einer elektronischen Schaltung oder dergleichen zufällig auf etwas gestoßen, das sich der Einordnung in allgemein anerkannte Kategorien entzog. Zwar stand ich erst am Anfang meiner Arbeit, und die Menge des bis dahin Erreichten war gering, doch aus dem Wenigen ging hervor, dass das von mir Entdeckte eine nicht zu leugnende Ähnlichkeit mit einer inneren Welt aufwies.

An der Innenseite der Leitungen besagter Schaltung hatte sich messbar so etwas wie substanzielles Bewusstsein abgelagert. Mit einem eigens von mir entwickelten Verfahren ließ es sich isolieren und in konzentrierter Form speichern. Dabei durfte ich nichts Falsches denken.

Es war mir unmöglich, länger als eine Dreiviertelstunde am Tag mit dieser Arbeit zu verbringen. Entsprechend langsam kam ich voran. Zusätzliche Hindernisse waren mein zwanghaftes Drücken falscher Tasten und unablässiges Drehen von Reglern in die falsche Richtung.

Ähnlich zufällig, wie ich auf besagte Welt gestoßen war, fand ich mentalen Zugang zu ihr. Dabei schien ich in eine enge Öffnung gesaugt zu werden. Mich quälte Erstickungsangst, doch der Gleichrichter führte zum Ende der Beengtheit. „Im Gleichrichter bleibt alles unverengt“, dachte mein Verstand erleichtert.

Das Wort „Gleichrichter“ enthielt ein zweifaches „ich“. Das konnte kaum Zufall sein, denn eine identische Alternativversion von mir, die eine andere Ordnungsnummer hatte als ich, war offenbar nötig, damit ich in der völlig andersartigen Realität dargestellt werden konnte. Dass sich beide Versionen einmal begegnen könnten, schien ausgeschlossen, denn wir konnten einander nicht wahrnehmen.

Wegen der großen Fremdheit jener Welt konnte ich nie lange darin bleiben. Das wirkte sich nachteilig auf die wissenschaftliche Arbeit aus. Bei meinem letzten Aufenthalt traf ich zu allem Überfluss ein extrem verstörendes Wesen. Es hatte Ähnlichkeit sowohl mit einem Schwein als auch, da es aufrecht ging, mit einem Menschen.

Sein Fell war kurzhaarig und am Bauch gepunktet, Geschlechtsorgane wies es überraschenderweise keine auf. Ich entsinne mich nicht, ob es etwas tat oder äußerte. Bei seinem Anblick befiel mich ein nie gekanntes Gefühl von Panik. Kopflos die Verbindung abbrechend, floh ich. Für ein paar Sekunden verlor ich den Überblick, so dass mir, wie ich später erkannte, ein Bedienungsfehler unterlief.

Möglicherweise wurden dabei die Ordnungsnummern meiner beiden Versionen vertauscht. Nun wage ich nicht, die gespeicherte Welt zu löschen und befürchte zugleich, das Wesen könne in meine herüberkommen. Ich weiß weder ein noch aus. Nicht einmal Dr. Lateiner, der unter anderem den Teil des Gehirns entdeckt hat, der speziell für das Hören von Cellokonzerten in liegender Haltung zuständig ist und dieses überhaupt erst ermöglicht, kann mir jetzt noch helfen.

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