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Jahresbericht der WehrbeauftragtenNicht wirklich eine Zeitenwende

Fehlendes Personal, sexuelle Übergriffe und rechtsextreme Vorfälle – an den Problemen der Bundeswehr hat sich wenig geändert.

Einige Sol­da­t:in­nen scheinen gut ausgerüstet: Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr Foto: Wolfgang Rattay/reuters

Wie geht es mit der Zeitenwende voran? Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl (SPD), legte dazu am Dienstag ihren Jahresbericht vor. Im vergangenen Jahr seien zwar mit großen Beschaffungen erste Weichen der Zeitenwende gestellt worden – echte Verbesserungen bei der Personalnot, mangelndem Material oder maroder Infrastruktur gebe es jedoch nicht. Gleichzeitig stieg die Zahl sexueller Übergriffe gegen Soldatinnen, und auch rechtsextremistische Vorfälle sind weiterhin ein Problem.

Auf 171 Seiten stellt Högl für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr ein zwiespältiges Zeugnis aus. Den Begriff der Kriegstüchtigkeit, den Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) nutzt, vermeidet sie. Das zentrale Problem der Bundeswehr ist laut Bericht die sinkende Zahl an Soldatinnen und Soldaten. Ende des vergangenen Jahres waren es etwa 1.500 weniger als im Vorjahr. Auch die Zahl der Bewerbungen ist rückläufig. Über 20.000 Stellen sind unbesetzt. „Die Bundeswehr altert und schrumpft“, moniert Högl. Dabei soll das Heer bis 2031 von aktuell etwa 181.500 auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten anwachsen. Mit dem bisherigen Herangehen sei das Ziel laut Högl nicht mehr zu erreichen.

Eine Gruppe, bei denen die Bundeswehr attraktiver werden will, sind Frauen. Zwar ist die Zahl der Soldatinnen im Jahr 2023 leicht gestiegen, doch mit 13,4 Prozent liegt der Anteil unter der anvisierten Quote von 15 Prozent, die in diesem Jahr auf 20 Prozent erhöht wurde. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist weiterhin verschwindend gering. Ein Konzept, wie die gesetzliche Frauenquote erreicht werden soll, gibt es nicht.

Ein Grund für die anhaltende Unattraktivität der Truppe für Frauen ist die seit Jahren steigende Zahl an sexuellen Übergriffen innerhalb der Truppe. Laut Bericht gab es im vergangenen Jahr 385 meldepflichtige Ereignisse, nach 357 Vorfällen im Jahr 2022. Högl geht allerdings von einer hohen Dunkelziffer aus. Frauen fürchteten sich, Übergriffe anzuzeigen, auch aus Angst vor beruflichen Nachteilen, berichtet die Wehrbeauftragte. Das müsse für Vorgesetzte eine größere Rolle spielen, forderte Högl. Dass Führungspositionen in der Bundeswehr weitestgehend männlich besetzt sind, scheint ein Teil des Problems zu sein. Seit 2023 ist zumindest eine neue Dienstvorschrift in Kraft, die härtere Sanktionen und Maßnahmen zur Prävention vorsieht.

Auch Rechtsextremismus bleibt weiterhin ein Problem innerhalb der Bundeswehr. 2023 gab es mit 204 sogenannten meldepflichtigen Ereignissen einen Fall mehr als im Vorjahr. Als meldepflichtiges Ereignis listet der Bericht beispielsweise den Fall eines Soldaten auf, der in der Kaserne den Hitlergruß zeigte und sinngemäß sagte, der Holocaust sei nur erfunden. Der fragliche Soldat wurde aus der Bundeswehr entlassen.

Seit dem vergangenen Jahr können solche verfassungsfeindlichen Soldatinnen und Soldaten schneller entlassen werden. Doch noch immer dauerten solche Verfahren zu lange, kritisierte Högl.

Zu der Frage, welche Konsequenzen die mögliche Einstufung der gesamten AfD als gesichert rechtsextrem auf die Anzahl der als rechtsextrem geltenden Soldatinnen und Soldaten haben könnte, wollte sich die Wehrbeauftragte am Dienstag nicht äußern.

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