Theater zeigt Zhadan's Donbass-Roman: Heimatabend in Blau-Gelb

Fürs Theater Bremen befreit Armin Petras aus Serhij Zhadans Roman „Vorošilovhrad“ von Sex und Suff. Übrig bleibt ein jugendfreier Bilderbogen.

Ein Mann steht im Vordergrund auf dem gelb gestrichenen Boden, der Hintergrund - rechts ragt eine Windmühle auf - ist blau.

Obsessiv gräbt Ernst (Timos Papadopoulos) nach alten deutschen Panzern. Sonst ist der Boden gelb. Und der Himmel blau Foto: Jörg Landsberg/Theater Bremen

Vielleicht hätte sich Armin Petras über den dusseligen deutschen Titel hinwegsetzen sollen. Vielleicht, nein, wahrscheinlich hätte der Regisseur und Dramatiker für seine Bühnenfassung dann einen besseren, also entschiedeneren und vielleicht auch nachdenklicheren, kurz: intelligenteren Zugriff auf Serhij Zhadans 2010 erschienenen Roman „Vorošilovhrad“ (Ворошиловград) gefunden; so heißt das Buch im ukrainischen Original, aber auch in englischer Übersetzung.

In Italien und Frankreich hat man das Buch, weil der Ortsname so unbekannt und unaussprechlich ist, mit schlauer Western-Referenz, sinngemäß als „Der Weg ins Donbass“ in die Läden gebracht. Und weil der alte sowjetische Name der Stadt Lu’hansk dem Zielpublikum in den Ohren schmerzt, seit russlandtreue Truppen dort 2014 den Krieg eröffnet haben, hat Yaroslav Lodygin seine Verfilmung 2018, historisch versiert, „The Wild Fields“ genannt. All diesen Alternativtiteln gemein ist, dass sie die Nähe suchen zu Zhadans Poetik des Raums. Sie ermöglichen deren historisch-geopolitischen Subtext wahrzunehmen, mit ihm zu spielen, den darin verborgenen Schrecken zu vergegenwärtigen.

Die Suhrkamp-Benamsung hingegen verdrängt das zugunsten einer zauberhaften Mystifikation, einer natürlich frei erfundenen Ursprungserzählung des Jazz. Stört im Buch nicht groß. Steht aber als vermeintlicher Zielpunkt nun der Bühnenfassung die ganze Zeit im Weg, um dann am Ende auch noch brav aufgesagt zu werden (Dramaturgie: Klaus Missbach). Weil obendrein auch der massive Alkoholkonsum, der betäubende Sex sowie Zhadans an Charles Bukowski geschulte fäkalfreudige Kunstsprache wegfallen, erlebt das Bremer Publikum pünktlich zum Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine eine von Norman Plathe-Narr eindrucksvoll blau-gelb ausgeleuchtete, komplett jugendfreie Produktion.

Kämpfe um eine Potemkinsche Tankstelle

Die Bühne hat Peta Schickart mit Holzgebäudefronten möbliert. Auch sie erstrahlen, feinziseliert, wie Scherenschnitte für einen Lotte-Reiniger-Trickfilm, in satter Sonnenfarbe: Selbstverständlich sind es nur Fassaden, so wie eine Benzinstation im Zentrum von Stück, Bühne und Buch steht, bei der nie jemand je Sprit zapft, weil es auch gar keinen gibt: Willkommen im postsowjetischen Donbass der 1990er. Diese potemkinsche Tankstelle in der amorphen Steppe kann man getrost als Allegorie der Ukraine lesen. Sie ist, obschon völlig unrentabel, Objekt der Begierde kleptokratischer Maiskönige: Die schrecken vor nichts zurück, am wenigsten vor Gewalt.

Gerüchteweise ist der Tankstellen-Inhaber in den Westen gegangen, vielleicht nach Amsterdam. Eventuell hat ihn aber auch jemand um die Ecke gebracht, egal. Sein Bruder Herman – zwischendurch wird er wegen des Namens für einen Deutschen gehalten – reist wegen des Verschwindens in seinen Heimatort. Warum er dort bleibt und sich immer tiefer in diese Kämpfe ohne Sinn und Profit verwickeln lässt, statt einfach wieder in seine befriedete Existenz in der korrupten Verwaltung der Provinzhauptstadt Charkiw zurückzukehren: Diese Frage wird sich dieser Held nicht stellen.

Den von Anette Riedel für diese Rolle entworfenen konfirmandenengen Anzug füllt Ferdinand Lehmann mit charmanter Einfalt; ein ukrainischer Neo-Parzival, der sich von den Maiskönigen nicht zum Gral des Geldes verlocken lässt, sondern einfach drauflos sucht, ohne zu wissen, was. Und um auch nichts zu finden.

Das ist auch schon die Handlung. Sie dient im Roman einerseits als Vorwand, schwelgerische Landschaftsbilder zu entwerfen, deren Metaphernfreude mitunter kitschig, sehr oft aber visionär wirkt. Etwa wenn die Häuser dunkel da stehen, „als wären sie mit schwarzer Farbe gefüllt“. Oder sich die Leere als gefräßiges Monster Richtung Russland ausbreitet und alles schluckt „das Wasser und das Grün, das lichtdurchflutete Gras“, die ganze Welt: Seen, Himmel, Gasfelder.

Frauenfiguren bleiben blass

Für die lässt das patriotische Blau-Gelb-Setting im Bremer Großen Haus nun wirklich keinen Platz mehr. Andererseits ermöglicht der Nicht-Plot einen Reigen kurioser Figuren, manischer Typen und fabulierter Anekdoten. Doch als kurz angetippte Bühnenfiguren berühren sie kaum, bestenfalls sind sie lustig, wie Ernst, der sich Thälmann nennen lässt: In der ganzen Gegend buddelt er nach verschollenen deutschen Panzern aus den beiden Weltkriegen; Timos Papadopoulos übersetzt diese Obsession in eine vergnüglich spillerige Besessenheit.

„Die Erfindung des Jazz im Donbass“. Weitere Vorstellungen: 28. 2.; 7. + 9. 3., jeweils 19.30 Uhr, Theater Bremen, Großes Haus

Vor allem die Frauenfiguren aber bleiben in Petras’ Regie fast schon erschreckend blass. Am meisten Tiefe gelingt der schön struppig verwahrlosten Lisa Guth in der Rolle der altersdementen Hündin Pachmutowa. Später, zu Beginn des zweiten Teils, wird sie von Unbekannten gekreuzigt; malerisch hängt sie an der Windmühle, die als pikareskes Signal mal rechts, mal links im Hintergrund ragt. Die Hundemörder? Vermutlich waren’s Handlanger der Oligarchen.

Übrig bleiben angetippte Episoden. Es kommt zu einer Tanklaster-Explosion mit viel Nebel. Der Rest wird mehr behauptet, teilweise durch routinierte schwarz-weiß-Videos von Maria Tomoiagă eingespielt, auch wird hübsch musiziert, alles sehr nett anzuschauen – ein ukrainischer Heimatabend. Das ist in seiner wohltuend solidarischen Grundierung nichts Böses, wirkt aber in seiner klischierten Nostalgie und fröhlichen Belanglosigkeit dann doch unangemessen.

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