Digitale Sphäre in der Kunst: So düster, dieses Technozän
Es rauscht in der Black Box: 40 Künstler:innen rechnen in der Berliner Ausstellung „Poetics of Encryption“ mit der digital durchdrungenen Welt ab.
Hinter dem Gitterkäfig des italienischen Künstlerduos Eva & Franco Mattes sieht man nicht genau, was vor sich geht. In seiner Installation „,P2P' (raised floor cage)“ befindet sich ein Peer-to-Peer-Server, er verteilt ein schemenhaft erkennbares, digital prozessiertes Kunstwerk. An wen oder wie oft es verteilt wird, erschließt sich nicht. Das Kunstwerk funktioniert als Black Box.
Verschlüsselung scheint von Vorteil zu sein, betritt man die digitale Sphäre – jedenfalls, wenn es sich bei ihr um Bilderkennungsprogramme oder Waffen elektronischer Kriegsführung handelt. Die Ausstellung „Poetics of Encryption. Art and the Technocene“ mit Arbeiten von mehr als 40 Künstler*innen (darunter die Tech-Pioniere Eva & Franco Mattes) im Berliner KW Institute for Contemporary Art ist in diesem Sinn angetreten, zu zeigen, „wie sehr technische Systeme Nutzer*innen in ihren Bann ziehen, wie sie im Verborgenen wirken und wie sie Raum und Zeit in der Kultur verzerren“.
Zu sehen sind künstlerische Interpretationen von Memes, Tech-Gurus, KI-Artefakten und der Extraktion seltener Erden. Und – mitfinanziert von der „Volkswagen Group“ – in einem Umfang, wie man es sonst eher vom Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) kennt.
Möglich machte dies nun die Einrichtung einer digitalen Programmsparte an den KW, in deren Rahmen der zum „Kurator Digitaler Raum“ berufene, aus Großbritannien stammende Nadim Samman die Kunst jenes Zeitalters zeigen will. In Anlehnung an den Begriff des Anthropozän bezeichnet er es als „Technocene“ („Technozän“). Düster definiert Samman das „Technozän“ durch eine Kunst, die sich mit der Frage befasst, „wie die überwältigende Verbreitung von Technologie in allen Bereichen des Lebens (und des Todes) zu einem Thema kultureller Abrechnung wird“.
Eine im Stillstand gefangene Welt
„Poetics of Encryption. Art and the Technoscene“: KW Institute for Contemporary Art, Berlin, bis 26. Mai, Katalog 24 Euro
Dementsprechend sind die Videos, immersiven Installationen und Objekte in den drei Ausstellungsbereichen – „Black Sites“, „Black Boxes“, „Black Holes“ – oft brutal realistisch bis pessimistisch. Bereits im Erdgeschoss legen die Kunstwerke ein bildgewaltiges Fundament: Der unter dem Namen „Most Dismal Swamp“ firmierende britische Künstler Dane Sutherland zeigt in seinem Film „Scraper“ eine im Stillstand gefangene Welt. In deren „Mordor“-ähnlichen Untergrundenklaven lamentieren seufzende Influencer-Avatare über ihre „hyperbolische Gefühllosigkeit“.
Das 30-minütige Video „Eye of Silence“ von Charles Stankievech ist auf eine breite Wandfläche projiziert, sein unterlegter Basssound durchdringt den Körper. Darauf zu sehen ist ein Flug über einer kargen, digital konzipierten Landschaft. Durch einen einfachen, aber betörend suggestiven Trick grenzt Stankievech hier an einen Teufelsbeweis: Er spiegelt die flüchtigen Bilder symmetrisch und das betrachtende Auge kommt im pareidolischen Sog nicht umhin, in Eis, Kratern und Rauch eine dämonische Fratze nach der anderen dort zu erkennen, wo doch nur eine Bildschnittstelle ist.
In der Vorhölle scheint auch der italienische Künstler Nico Vascellari zu schweben: Bewusstlos ließ er sich für sein Video an einem Seil hängen und von einem Hubschrauber über nebelig-alpines Gebiet fliegen – ein Sinnbild für ohnmächtige Abhängigkeit von Technologie, für Kontroll- und Zeitverlust.
Technologie als Mittel zum Fortschritt und Möglichkeit, Gesellschaft auch positiv zu verändern, kommt in dieser Ausstellung kaum vor. Im Video „The Post-Truth Museum“ der Berliner Künstlerin Nora Al-Badri vielleicht. Sie legt darin drei europäischen Museumsgranden mittels einer speziellen KI Aussagen von Dritten in den Mund: Plötzlich redet etwa Hermann Parzinger von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz über Restitution und die Auflösung eines nationalen Besitzanspruchs auf Kulturgüter.
Das Video ist in den letzten drei Jahren entstanden, doch wirkt es aufgrund der verwendeten KI-Technik schon jetzt veraltet. Wie sehr also technische Systeme Raum und Zeit in der Kultur verzerren, wäre alleine damit nolens volens schon vorgeführt.
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