Tattoo-Performance von Monty Richthofen: Das Gefühl stechen

Monty Richthofen hat seine eigene Theorie des Gekrakels entwickelt. Das zeigte der Künstler kürzlich in seiner Performance in einer Berliner Galerie.

Künstler steht heruntergebeugt vor einer Liege, auf der eine Person liegt und tättowiert diese. Im Hintergrund sind rot leuchtende Leuchtkästen, auf denen Schriftzüge zu erkennen sind.

Tattoo-Performance von Monty Richthofen in der Galerie Dittrich & Schlechtriem Foto: Stefanie Loos

Notizzettel sind treue Begleiter, um Termine, Einfälle oder Telefonnummern festzuhalten. Man schreibt auf, was man nicht vergessen will. Der Berliner Künstler Monty Richthofen, auch bekannt als @maison_hefner auf Instagram, postet seit einigen Jahren krakelig beschriebene Notizzettel und (Lein-)Wände, besprüht sie mit Sprüchen wie „the best things in life are free if you steal them“, „this is what happens if you go to school“ oder „follow me inside my head“.

Schreiben ist wie eine Momentaufnahme, vergleichbar mit einer Fotografie

Manchmal erscheint auf Richthofens Kanal ein paar Tage später derselbe Schriftzug noch einmal. Diesmal allerdings rot umrandet und etwas geschwollen auf der Haut eines Menschen. Der 29-jährige Tätowierer hat in London Performance Practice und Design studiert.

Die Berliner Galerie Dittrich & Schlechtriem lud in der vergangenen Woche zu einer Tattoo-Performance Richthofens ein. Die Körperintervention trug den Titel „The Cards You were Dealt“. Personen, deren Namen ausgelost wurden, konnten an zwei Tagen kostenlos einen Text des Künstlers auf ihre Haut gestochen bekommen.

Die Person, die jeweils zuvor tätowiert wurde, suchte drei Texte aus, aus denen der*­die Nächste wählen konnte. Jeder der ausgewählten Sätze wurde vom Künstler auf einem Leuchtkasten festgehalten, am Ende ergab sich so ein Gesamtbildnis der getroffenen Entscheidungen.

„Thank God Social Media is dead“

Mit einem lauten Zischen der Nebelmaschine beginnt die Eröffnungsperformance im Untergeschoss der Galerie. In der Mitte des dunstigen, durch die Leuchtboxen rot erhellten Raums steht Richthofen, neben ihm eine schwarze Liege. Nach und nach zieht Richthofen sechs kleine Notizzettel aus der gläsernen Box, in welche interessierte Personen eine Woche lang ihren Namen werfen konnten. Es folgen unterschiedliche Reaktionen auf das Hören des eigenen Namens – manche erfreut, manche überrascht. Richthofen wird umarmt, ein anderer reagiert mit einem „Oh.“

Der erste Teilnehmer der Performance heißt Julien und hat sich von drei Texten einen ausgesucht, den er nun unter die Haut gestochen bekommt. Richthofen zieht den Handschuh an, desinfiziert die zu beschriftende Stelle, dann ertönt das Summen der Nadel. Gelassen tätowiert er den Oberarm des seitlich vor ihm liegenden Mannes, motorische Feinarbeit, von Hunderten Augen verfolgt.

Nach einigen Minuten verstummt das Surren der Nadeln, stattdessen ertönt das Quietschen des Eddings, als Richthofen den gerade tätowierten Text nun auf die schummrig rot leuchtende Lichtbox schreibt: „Thank God Social Media is dead“.

Eine Sache des Vertrauens

Wer sind die Personen, die sich unter eingeschränkten Auswahlbedingungen tätowieren lassen? Richthofen glaubt, wer sich melde, wolle eine gewisse Erfahrung machen. Für ihn selbst sei das Tätowieren ein intimer Akt zwischen zwei Personen, der auf Gegenseitigkeit und Vertrauen basiere: „Es geht auch um eine Hingabe, man widmet sich gemeinsam einer Sache.“

Richthofens Äußeres ist unauffällig, ganz anders als seine frechen, teils provokanten Texte. Auf der Eröffnung seines Events geht er in heller Hose und schwarzem Oberteil unter in der Menge der ungefähr hundert, meist auffällig gekleideten Kunstinteressierten. Im Gespräch wird klar, dass er keine Äußerlichkeiten braucht, um im Gedächtnis zu bleiben. Seine Ausdrucksweise ist bedacht und zieht das Gegenüber in seinen Bann. Ihm liegt viel an der Sache, das merkt man, und er begegnet ihr mit Ehrlichkeit.

Seine Texte entstünden intuitiv, erzählt er. „Ich sehe das Schreiben wie eine Momentaufnahme, man kann es mit einer Fotografie vergleichen. Das kann der Versuch sein, ein Gefühl oder eine Situation einzufangen, oder es kann wie ein Selbstporträt funktionieren. Ich versuche dabei so ungefiltert wie möglich zu sein, für mich ist diese Ehrlichkeit in den Texten die Brücke zu meinem Gegenüber.“

Wie ein Spiegelbild der Gefühlswelt

Er setze sich in seinem Schreiben oft kritisch mit seinem Umfeld, seiner Rolle als Mensch oder auch als Individuum in einer Gesellschaft auseinander. Seinen unverwechselbar krakeligen Stil habe er gefunden, indem er sich lange mit Text und Schrift befasst habe und manchmal auch mit links schreibe.

„Man fängt in der Grundschule an, die Schrift auf die Perfektion zu lernen. Jetzt will ich sie wieder dekonstruieren und so schreiben, wie ich mich fühle. Sie ist wie ein Spiegelbild der inneren Gefühlswelt. Wenn ich mich nach Unordnung oder Irrationalität fühle, dann schreibe ich auch so.“ Richthofen erzählt, die Performance seiner Arbeit vor Publikum habe ihm Raum zur Verletzlichkeit und für neue Erfahrungen geboten.

Auch war für ihn der Zufall des Auswahlprozesses ein wichtiger Aspekt der Veranstaltung: „Wenn man nicht weiß, mit wem man arbeiten wird, macht es das einfach spannender. Für mich ist es ein wichtiger Bestandteil für mein eigenes Schaffen, nicht zu wissen, wie genau es jetzt abläuft. Ich finde, in unseren alltäglichen Strukturen ist alles ziemlich festgesetzt – sich da besonders im Schaffensprozess bereitzustellen für zufällige Momente und Zufallsbegegnungen, das fasziniert.“

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