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Die Kunst der WocheWatte, Borsten, Farbenflut

Bei den UdK-Abschlussklassen Bühnenbild wurde das Jobcenter in Watte gepackt. Sprüth Magers zeigt Artschwagers Überlegungen zu Zeichen und Raum.

Das Arbeitsamt von Heejin Kwoon Foto: taz

W as die Bühnenbildklassen der UdK bei der zweitägigen Präsentation „Rising Beasts“ Mitte Februar im Ballhaus Ost in Form ihrer Semesterabschlussarbeiten alles aufgefahren haben, war einer dieser Momente, in denen man als Kunst­jour­na­lis­t:in maximale Freude an der Sache erfährt.

Betreut wurden die Projekte durch den Künstler und Bühnenbildner Laurent Pellissier, der gerade wieder die Bühne für den Teddy-Award der Berlinale in der Volksbühne in ein einziges rauschendes, Klaus-Nomi-inspiriertes Fest für die Augen verwandelt hat.

Im Erdgeschoss und in der Bar des Ballhaus Ost zeigte die MA-Klasse von Janina Audick ausgewachsene Bühnenbilder; die BA-Klasse Janina Audick, Valentina Primavera, Oliver Brendel wiederum im 3. Stock Modelle und Story Boards, die lose von „Orlando“ bzw. „Frankensteins Monster“ inspiriert waren.

Allein die Modelle der BA-Klasse machten großen Spaß: Da nahm eine gigantische in sich zusammengekringelte Katze von Yeojin Na das gesamte Feld der Bühne ein. Und Eunkyung Jang erzählte mit Storyboard und Bühnenmodell die Geschichte eines Mannes, der nicht etwa ein Wesen erschaffen, sondern selbst zur Blume werden will. Und so suchte der Blick automatisch die zur Blüte gewordene Person unter der Kuppel, die das Zentrum der Bretter wie eine Öffnung zum Außen einnahm. Um nur zwei der vielen großartigen Beispiele zu nennen, unter denen auch aus den Fugen geratene Familienzimmer, gestapelte Berge und wildgewordenen Filmstreifen waren.

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Im Erdgeschoss, dann die Abschlussarbeiten der MA-Klasse. Hier krochen in Ins Meyers Installation „Disturbing Glory“ hinter transparenter Plane motorisierte Plastikbabies umher, die so unheimlich waren, dass der durchsichtige Raumtrenner das Immersive der ganzen Situation mit ihrem schummrigen Licht und den unheimlichen mechanischen Geräuschen bloß noch verstärkte. Die creepy Babies drängten sich gegen Blöcke und andere Hindernisse, dann wieder gegen die Abtrennung. Man sah sie förmlich die Köpfchen am Boden durch die Plane schieben und ohne Gnade auf einen zudackeln.

Abends animierte Hyeonsu Jung mit ihrer Performance „Denying the Dragon“ eine mit ein paar scheinbar einfachen Handgriffen aufgebaute Pagode aus Holzstreben und Gaze. Zwei Tän­ze­r:in­nen channelten die Wesen und interagierten mit einer zwischen Flügelwesen und Meereswellen changierenden Videoprojektion: Hologramm und Mensch verschmolzen, der Sound stimmte. Das Publikum, das den Raum überfüllte, gab sich trotz allem die Mühe, einander die Sicht frei zulassen, so gebannt war die Stimmung in dieser ad hoc erzeugten Theatersituation.

In der Bar dann der absolute Knaller: Wenn es nicht das weiße Vlies war, mit dem Heejin Kwoons Rauminstallation „Hold the Line“ schon den Blick anlockte, dann war es spätestens der fiese Vanillegeruch, der sich aufwölbte, je näher man sich am Eingang befand. Im Innern ein Warteraum wie man ihn aus dem Jobcenter kennt, komplett mit Stuhlreihen, Infobroschüren und der ungnädigen Digitalanzeige, die das endlose Warten mit Nummern managed.

Nur dass hier auch ulkige Szenen aus TV-Shows über den Bildschirm flackerten, immer wieder fiel jemand zu Boden. Der eigentliche Boden des Raumes und die Wände dagegen komplett in Watte gepackt. „Ding-Dong“ und die nächste Nummer ploppte auf, die Sitze beängstigend leer, der Feuerlöscher oben an der Wand bedrohlich rot.

Ein Besuch auf dem Instagram-Kanal und der Webpräsenz der Bühnenbildklasse Audick sei dringend empfohlen – und vor allem die konkrete Umsetzung der Ideen, die hier so eindringlich erste Form angenommen haben. Gebt den Menschen Jobs, Leute! Sie haben es sich erarbeitet.

Blp, Mark, Splat

Ein Meister der Raumaktivierung war auch Richard Artschwager (1923–2013). Er wird für mich immer der Künstler mit den „Blps“ sein, von denen ich im MoMA PS1 in Queens nicht genug bekommen konnte. 1976 trug er seine ovale Form dort in den Fluren und im Treppenhaus an der Wand auf, eine kleine Geste, die die darunter liegenden Ziegelsteine in ihrer Struktur und Oberfläche hervorhob und ins Blickfeld zog.

Die „Blps“ – von der Form her irgendwo zwischen Ellipse und Rechteck verortet – mit denen Artschwager immer wieder Räumlichkeit und Materialität thematisierte, tauchten ab Winter 1967-68 in Schwarz oder in Weiß zunächst in Kalifornien in der Nähe von Orten des Ausstellens aus, und bewegten sich von dort nach New York, nach Köln, und vor allem in den öffentlichen Raum. In gigantischer Größe wanderten sie beispielsweise auf den Turm des Turtle-Bay-Dampfkraftwerks über den Dächern von Manhattan.

Die Markierungen begleiteten Artschwager bis ins Alter von 89 Jahren. Sie stauchten sich, zogen sich in die Länge, tauchten auf Galeriewänden auf, hoch oben an der Wand, mit ausgemalter Fläche oder nur als zarter Umriss. Es gab sie aus Holz, aus Rosshaar, aus Farbe.

Dass die Markierungen für den Künstler auch wie eine Art Schriftzeichen funktionierten, daran erinnert nun sein gigantisches Ausrufezeichen „Exclamation Point (Chartreuse)“ aus gelben Plastikborsten von 2008, das bei Sprüth Magers den Raum im 1. Stock einnimmt.

Richard Artschwager, „Cornered: Celebrating the Artist’s Centennial“, Installationsansicht Foto: Timo Ohler; Courtesy Sprüth Magers

Im vergangenen Dezember wäre Artschwager 100 Jahre alt geworden, die Galerie zeigt unter dem Titel „Cornered: Celebrating the Artist’s Centennial“ nun den dreidimensional gewordenen senkrechten Strich mit dem darunter liegenden Punkt. Des Weiteren sind Formica-Skulpturen sowie Werke aus den Serien „Crates“ und „Splatter“ zu sehen.

Die Ausstellungen

Richard Artschwager, Cornered: Celebrating the Artist’s Centennial. Sprüth Magers, bis 23. März, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Oranienburger Str. 18

Aktion – Geste – Farbe. Künstlerinnen und Abstraktion weltweit 1940-70, Kunsthalle Bielefeld, bis 3. März, Di.–Fr. 11–18 Uhr, Mi. 11–21 Uhr, Sa. 11–18 Uhr, So. + feiertags 11–18 Uhr, Montags geschlossen; Katalog zur Ausstellung (auf Englisch), 50 Euro

Es blippt also diesmal nicht, es splattert. Und so scheint es dann, als sei ein Büro („Splatter Office“ von 2000) in seine Einzelteile zersplittert an die Wand geschleudert worden und als Blob dort zurückgeblieben. Dafür dass es gerade aus der Form geklatscht wurde, ist es jedoch so merkwürdig staubfrei in der Ausführung, dass dieser Widerspruch das Erlebnis umso unbehaglicher macht. Dem „Splatter Piano“ geht es auch so, wobei es seine ursprüngliche Form noch etwas mehr umklammert – toll zu sehen auch die dazugehörigen Corner Studies in Tusche auf Papier.

Und das Crate „RA-19“ (1995)? Hätte von den Dimensionen her vielleicht eine kleine Orgel transportieren können, war aber von Anfang an leer und wird es bleiben. Die Formica-Skulptur „Head and Shoulder“ ist noch einmal eine Steigerung und so glatt und abweisend, dass die kalte Schulter unweigerlich aus dem Hinterkopf in die Gedanken rauscht.

Auch diese Ausstellung fordert also auf, sich mit Räumlichkeit und Material auseinander zu setzten. In dieser Form ist die Auseinandersetzung jedoch eher als Kampf gegen das Verschlossene zu verstehen. Im erlebten Abprallen am hermetisch Abgeschlossenen wird die Öffnung des Blicks, wie Artschwagers „Blps“ es uns in der Gegenbewegung ermöglichten, noch einmal umso eindringlicher.

Abstrakt in Bielefeld

Wook-kyung Choi, „Untitled“, 1960er, Acryl auf Leinwand, 102x137x3 cm Foto: Arte Collectum; © Wook-kyung Choi

Zwar nicht in Berlin, aber trotzdem eine Stadt mit B: Noch bis Sonntag, den 3. März, zeigt die Kunsthalle Bielefeld die Ausstellung „Aktion, Geste, Farbe. Künstlerinnen und Abstraktion weltweit 1940-70“, eine Kooperation mit der Whitechapel Gallery, London und der Fondation Vincent van Gogh, Arles, die so wichtig ist, dass ein Exkurs aus der Hauptstadt hier erlaubt sei.

Die wegweisende Präsenz von Frauen* in der Abstraktion, und das eben nicht nur in Europa und den USA, wird hier gewürdigt. Das Herausdrängen aus der Kunstgeschichte muss zumindest im Aftermath des bewussten Aus-der-Geschichte-Herausschreibens, das so viele Ma­le­r:in­nen Aufmerksamkeit und Arbeitsmöglichkeiten gekostet hat, endlich aufhören. Wer Wook-kyung Chois Arbeiten in Acryl auf Leinwand aus den 1960er Jahren noch nie gesehen hat, wird allein im umfangreichen Katalog zur Ausstellung hingerissen sein. Der Lerneffekt für die eigene Praxis ist hier ohnehin unermesslich.

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Noemi Molitor
Redakteur:in
Redakteur:in für Kunst in Berlin im taz.Plan. 2022-2024 Kolumne Subtext für taz2: Gesellschaft & Medien. Studierte Gender Studies und Europäische Ethnologie in Berlin und den USA und promovierte an der Schnittstelle von Queer-Theorie, abstrakter Malerei und Materialität. Als Künstler:in arbeitet Molitor mit Raum, Malerei und Comic. Texte über zeitgenössische Kunst, Genderqueerness, Rassismus, Soziale Bewegungen.
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