Die Wahrheit: Mein Leben als Beziehungsexperte
Warum nicht mal die Liebe als Hitparade denken? Oder weiß es wieder irgendjemand besser?
Lass uns nicht von Sex schreiben, goldene Regel. Allein, manchmal geht es nicht anders. Neulich zum Beispiel hatte eine Unterhosenmarke für Aufregung gesorgt, weil sich eine mittelbekannte Musikerin für dieselbe und höchstwahrscheinlich gegen sehr gutes Geld beinahe vollständig entblößt ablichten ließ. Es folgte eine Diskussion darüber, ob diese Fastnacktdarstellung für ein Unterwäscheunternehmen sexistisch oder doch eher der dann aufkommende Vorwurf des Sexismus sexistisch sei. Meiner Meinung nach war es sehr interessant, dass in diesem Zusammenhang im Tagesspiegel folgender Satz zu finden war: „Es ist klar, dass mehr Frauen als Männer unfreiwillig zum Sexobjekt herabgestuft werden und das verhindert werden sollte.“ Hm, dachte ich. Wieso eigentlich „herabgestuft“?
Sex ist ja wie Hitler ein Clickbait-Thema, auch ich lese fast alles, was mir zu dem Thema unterkommt. Von Hitler haben wir eh genug da draußen, Sex ist eindeutig besser, also als Thema. Mein Nachrichtenportal tut nun seit einer Weile so, als ob es ein ganz normales Nachrichtenportal wäre und nicht einfach ein Mail-Anbieter, der auch ein bisschen elektronische Aufmerksamkeit haben will.
Jedenfalls interviewte dieser Tage das Portal einen „Beziehungsexperten“ zum Thema Datingverhalten. Es gab ein paar schöne Sätze wie den, dass „monogame Dating- und Beziehungssituationen zu bevorzugen“ sind, „weil sie für die Psyche häufig leichter zu verarbeiten“ seien. Geiler Grund!
Andererseits gibt der Experte zu Protokoll: „Vielleicht hat unsere Gesellschaft in den letzten Jahrhunderten einen zu starken Fokus auf Monogamie gelegt.“ Ein Satz zum Einrahmen. Aber er sagt dann noch: „Die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Langzeitbeziehung nimmt mit jeder Situationship ab.“ Ja, dachte ich. Na und? Und wie sieht eigentlich Sex mit Situationship aus? Wacklig wie auf einem Schiff?
Lücken
Es gibt offenbar Lücken, die auf eine dahinterschimmernde Moral hinweisen, die als vorausgesetzt vorausgesetzt wird. Dasein als Sexobjekt: schlimm. Langzeitbeziehung: gut. Ich sage mir: Ohne Objekt wird Sex sehr monogam, er erschöpft sich dann nämlich in der Masturbation. Und Langzeitbeziehungen haben Vorteile, die ich sehr genieße, aber, nur rein theoretisch natürlich, Nachteile, zum Beispiel wenn die Lust raus ist oder es Probleme gibt oder Schluss ist. Am Ende lauert der Tod, und in den muss man bekanntlich eh alleine gehen.
Warum kann es mit Männern und Männern, Frauen und Frauen, Frauen und Männern nicht sein wie mit Lieblingsliedern? Ein Wiederholungszwang für zwei, drei Wochen, ein Nachglühen, das einen Monat dauert, dann ist der nächste Lieblingssong dran, und der davor spielt sich langsam nach unten, bevor er vielleicht zum Evergreen wird oder ein plötzliches, sentimentales Comeback erfährt? Die Liebe als Hitparade!
Die Wahrheit auf taz.de