Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt: Mieter werden ausgetrocknet
Rund 20 Familien, darunter viele Rom*nja, leben unter unzumutbaren Bedingungen. Der Eigentümer lässt das Haus verwahrlosen.
„Ich wohne in Deutschland und muss jeden Tag 20 Kilometer zur Wohnung meiner Mutter nach Charlottenburg fahren, um zu duschen“, sagt Nikolai (Name geändert). Seit fast eineinhalb Jahren wohnt der Rumäne mit seiner Familie in dem Haus in der Fennstraße 31 in Niederschöneweide. Rund 20 Familien, überwiegend afghanisch, serbisch und Rom*nja, wohnen hier, sagt er. Vor zwei Wochen habe der Vermieter bei einer vermeintlichen Wartung den Wasserzähler ausbauen lassen. Dann habe das Tiefbauamt sämtliche Mülltonnen mitgenommen. „Ich habe Angst, dass uns als Nächstes der Strom abgestellt wird“, sagt Nikolai. Diese Woche soll der Strom abgelesen werden.
„Der Vermieter lässt das Gebäude verwahrlosen und verunsichert die Mieter*innen, um sie zum Auszug zu drängen“, sagt Thomas Herr von Bare, einem Bündnis gegen Antiziganismus und für Roma*-Empowerment. „Aber das darf er nicht“, sagt Nikolai. „Wir haben gültige Mietverträge.“ Sich beschweren oder um ein Gespräch bitten könne er jedoch nicht. „Ich weiß nicht, wer der Vermieter ist“, sagt er und schüttelt den Kopf.
Im Grundbuch stehe der Name Matteo Colusso. Dieser ist Geschäftsführer der IPG V GmbH, die den Altbau 2021 gekauft hat. „Ich habe mehrfach probiert, ihn zu erreichen“, sagt Nikolai, „aber die Nummer, die unter den Rechnungen angegeben ist, ist nicht vergeben.“ Thomas Herr vermutet, dass hinter Colusso ein anderer Mehrheitseigentümer steht. Durch sogenannte Sharedeals könnten Unternehmen eine Immobilie zu bis zu 90 Prozent kaufen, ohne dass der Eintrag im Grundbuch geändert werden müsse.
„Alle zwei Monate kommt jemand und behauptet, der neue Eigentümer zu sein“, erzählt Nikolai. Voriges Jahr sei ein Mann mit Schäferhund aufgetaucht, der die Bewohner*innen aufgefordert habe, umgehend ausziehen, weil sie keine gültigen Mietverträge hätten. Neulich sei ein Araber erschienen, der erzählt habe, das Haus gekauft, aber nicht gewusst zu haben, dass darin Menschen lebten. Kurz darauf sei erneut der Mann mit Schäferhund aufgetaucht. Er habe die Bewohner*innen beleidigt und sie erneut dazu aufgefordert auszuziehen. Doch die Bewohner*innen blieben. Seitdem nehmen die Schikanen zu.
Forderung nach nachhaltigen Lösungen
Zuständig für solche „Problemimmobilien“ ist der Bezirk. Kontakt zum Eigentümer hat man auch dort nicht, dafür aber mit dessen Anwalt, sagt die Bezirksstadträtin für Stadtentwicklung, Claudia Leistner (Grüne), auf Anfrage der taz. Man habe wohnungsaufsichtliche Maßnahmen eingeleitet. Zudem werde geprüft, ob zivilrechtliche Ansprüche bestehen oder strafrechtlich relevante Verhaltensweisen ersichtlich seien. Auf die Situation im Haus hat das Bezirksamt notdürftig reagiert. Es wurde eine Notwasserentnahmestelle an der Straßenecke installiert.
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen ist mit dem Bezirk über das Problemhaus im Austausch. Auf Anfrage der taz hieß es am Dienstag: „Die Heizung funktioniert wieder, die Wiederanstellung des Wassers ist beauftragt und mit der BSR verhandeln wir darüber, dass wieder Mülltonnen aufgestellt werden.“ Laut Thomas Herr funktionierte die Heizung jedoch auch am Dienstag nicht.
Die Bemühungen des Bezirks erkennt er an. Der „herkömmliche Weg“ jedoch dauere zu lang. „Es kann nicht sein, dass Menschen zwei Wochen ohne fließend Wasser und Heizung leben“, sagt er. Er fordert vom Bezirk, in Vorleistung zu gehen und hinterher zu versuchen, die Rechnung an den Eigentümer weiterzuvermitteln.
Darüber hinaus brauche es eine strukturelle Herangehensweise an die Problematik, findet Herr. Denn die Strategie der kalten Entmietung in „Problemimmobilien“ ist kein Einzelfall. Betroffen sind immer wieder Häuser, in denen mehrheitlich Rom*nja und andere migrantische Minderheiten leben. Menschen, die aufgrund fehlender Sprachkenntnisse einfacher um ihre Rechte betrogen werden können.
Schrottimmobilien sind keine Einzelfälle
Nikolai selbst hat das schon mehrfach erleben müssen. Bevor er mit seiner Familie in die Fennstraße zog, wohnten sie in einem Plattenbau in der Straße der Pariser Kommune 20 in Friedrichshain. Dort hatten seit 2015 über 40 Rom*nja-Familien gewohnt, bis sie 2018 von einer russischen Investorin mit dubiosen Begründungen gekündigt wurden. „Dann sind wir in eine Wohnung in Charlottenburg gezogen, aber auch da wurden wir betrogen“, sagt Nikolai. „Erst mussten wir eine hohe Vermittlungsgebühr bezahlen, dann mussten wir plötzlich raus.“
Bare fordert nachhaltigere Lösungen. Der Bezirk müsse „in solchen Fällen das Zugriffsrecht auf das Haus erhalten und den Eigentümer in seiner Zuständigkeit ablösen.“ Das könne man über das Zweckentfremdungsverbotsgesetz versuchen, sagt Herr. Schon in der Vergangenheit gab es Diskussionen über die Einsetzung eines Zwangsverwalters bei Schrottimmobilien, etwa bei einem verwahrlosten Haus im Wedding. Leider sei es bei Überlegungen geblieben.
Nikolai hat Angst davor, wieder umziehen zu müssen. „Ich habe Kinder, die hier in die Schule und die Kita gehen“, sagt er. „Wir wollen nicht wieder gehen.“
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