Stahlwerk im italienischen Tarent: Zum dritten Mal verstaatlicht

Das Stahlwerk in Apulien ist eines der größten in Europa. Nun stellt es Italiens Regierung unter staatliche Aufsicht. 8.000 Jobs sind gefährdet.

Ein Stahlwerk in der italienischen Stadt Tarent

Möglicherweise ein Milliardengrab – und jetzt vom Staat gelenkt: Stahlwerk in Tarent Foto: Paolo Manzo/ZUMA Press/imago

ROM taz | Italiens Regierung legt sich ein Stahlwerk zu. Am Montag fiel der Beschluss, das Stahlwerk im süditalienischen Tarent unter die Verwaltung eines vom Staat bestellten Kommissars zu stellen und damit den bisherigen privaten Mehrheitseigner, den indisch-französischen Mega-Konzern ArcelorMittal, aus dem Unternehmen zu drängen.

Acciaierie d’Italia (ADI) heißt das Unternehmen, um das es geht. Bisher ist dort ArcelorMittal mit 62 Prozent beteiligt, während die öffentliche Hand über die staatliche Investitionsgesellschaft Invitalia bereits 38 Prozent hält. Und ADI ist heillos überschuldet. Die Verbindlichkeiten betragen mehr als 3 Milliarden Euro.

Allein die unbezahlten, aber fälligen Rechnungen an Lieferanten und Subunternehmer summieren sich auf gut 500 Millionen Euro. In den letzten Monaten zahlte ADI weder die Gaslieferungen noch die zahlreichen Fuhrunternehmen in ihren Diensten. Ende Februar hätte die endgültige Zahlungsunfähigkeit gedroht.

Wenn jetzt im Werk in Tarent (und an weiteren sieben kleineren Standorten der ADI) der Staatskommissar übernimmt, dann ist das ein Déjà-vu: Zum dritten Mal in seiner wechselvollen Geschichte wird das Unternehmen zum Staatsbesitz – und zum dritten Mal soll es in möglichst naher Zukunft wieder privatisiert werden.

In den 80ern 40.000 Arbeitsplätze

Das Werk von Tarent ist eines der größten in Europa. Es entstand im Jahr 1965 als staatliches Unternehmen des öffentlichen Konzerns Italsider, der bis in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts das Gros der Stahlproduktion im Land hielt. Die Investition in Apulien war zentraler Bestandteil der Politik, die auf Entwicklung des industriell zurückgebliebenen Südens des Landes zielte. Tarent wurde zum größten Stahlstandort des Landes; mehr als 40.000 Menschen bei der Firma selbst und bei den Subunternehmen fanden hier in den frühen 80er Jahren Arbeit.

1995 dann schlug die Stunde der Privatisierung. Die Familie Riva übernahm in Tarent. Unter ihr setzte sich fort, was in den Zeiten der staatlichen Führung begonnen hatte: Das Werk war Wirtschaftsfaktor Nummer eins in der ärmlichen Region – es war zugleich aber auch ein ökologisches Desaster. Vor allem der Stadtteil Tamburi, direkt hinter den Hochöfen und der Kokerei gelegen, wurde Opfer massiver Umweltverschmutzung.

Die Eigentümer kümmerte das nicht weiter. So dachten sie keineswegs daran, die Halden von Eisenerz und Kohle im Werk zu überdachen, um endlich der bei Wind gegebenen Abdrift giftigen Staubs in Richtung der Wohnviertel zu unterbinden. Derweil verzeichneten die Gesundheitsbehörden in Tarent und vorneweg im Stadtteil Tamburi deutlich erhöhte Krankheits- und auch Todeszahlen bei Tumoren, Herz-/Kreislauf- und Atemwegserkrankungen.

Ein Konkurrent weniger für ArcelorMittal?

Diese Öko- und Gesundheitskatastrophen führten schließlich zum Ende der Ära der Familie Riva. Im Jahr 2012 klagte die Staatsanwaltschaft Tarent die Eigentümer wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Umweltgefährdung durch die giftigen Substanzen an – und beschlagnahmte kurzerhand das ganze Werk. Damit war der Staat wieder zurück, mit von ihm eingesetzten kommissarischen Verwaltern. Die allerdings hatten den Auftrag, erneut einen privaten Investor zu finden, und im Jahr 2017 erhielt ArcelorMittal mit einem Angebot von 1,8 Milliarden Euro den Zuschlag.

Doch Tarent wurde für den globalen Konzern mit 60 Stahlwerken nicht zur Erfolgsgeschichte. Schon im Jahr 2019 häuften sich Verluste von fast 900 Millionen Euro an, 2020 kamen noch einmal 270 Millionen Euro hinzu – und der in Luxemburg ansässige Konzern verlor die Lust am Investment. Daraufhin stieg der Staat wieder als Minderheitsaktionär ein, legte 650 Millionen Euro auf den Tisch und erhielt 38 Prozent der Anteile. Allerdings konnten sich private und staatliche Gesellschafter nicht über Zukunftsstrategien und Investitionen einigen. ArcelorMittal ließ zuletzt wissen, es wolle kein Kapital mehr zuschießen. Dies verstärkte den in Tarent von den Gewerkschaften geäußerten Verdacht, der Konzern habe Tarent nur übernommen, um das Werk vor die Wand zu fahren – und so einen lästigen Konkurrenten auf dem europäischen Markt auszuschalten.

Damit aber hätte das Aus der größten Stahlschmiede Italiens gedroht, die in Tarent etwa 8.000 Menschen beschäftigt und eine Kapazität von bis zu 8 Millionen Tonnen jährlich hat, auch wenn gegenwärtig nur 3 Millionen Tonnen produziert werden.

Deshalb zog die Regierung jetzt die Notbremse. ArcelorMittal zeigte sich in einer Erklärung „überrascht und enttäuscht“ über die Einsetzung des Staatskommissars an der Firmenspitze von ADI und kündigte juristische Schritte an. Ob die Rettung des Standorts Tarent gelingt, steht nicht nur deshalb in den Sternen.

Schon jetzt muss die Regierung mehr als 300 Millionen Euro auf den Tisch legen, um den weiteren Betrieb kurzfristig zu ermöglichen. Gleichzeitig kündigte sie an, für das ganze Jahr 2024 Nullkurzarbeit für einen Großteil der Beschäftigten im Stahlwerk zu finanzieren. Tarent könnte sich deshalb bald als Milliardengrab entpuppen, ohne dass eine langfristige Rettung des Werks absehbar wäre.

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