Kammermusik zum Mittag: Romantische Hotelpool-Atmosphäre

Die Laeiszhalle lockt mit Kammermusik zur Mittagszeit. Der Eintritt ist frei. Und schon wird Hamburgs Konzerthaus zum Spielfeld für Platzbesetzer.

Eine Sonnebrille und ein Handtuch liegen auf einer Liege

Reserviert für den Platz an der Sonne Foto: Oliver Killig/picture alliance/dpa

Kurz ist im Gespräch, so richtig früh hinzugehen. Früh im Sinne von: Stunden vor dem Einlass, der um 11.30 Uhr beginnt. Damit es auf jeden Fall klappt. Immerhin steht in der Ankündigung, dass sich die Attraktivität der kostenlosen Kammerkonzerte in der Hamburger Laeisz­halle herumgesprochen habe und es sich lohne, früh da zu sein. Die Plätze sind begrenzt, die Sitzplätze noch begrenzter, und es gilt: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.

Als wir etwa um 11:32 Uhr den benachbarten Park Planten un Blomen verlassen, sehen wir schon von Weitem die Warteschlange, die sich ein gutes Stück über den Brahmsplatz zieht und Schritt für Schritt vom Hauptportal der neobarocken Laeiszhalle verschluckt wird. Wir schlüpfen auch rein, laufen auf dem roten Teppich die eleganten Treppen in den ersten Stock hinauf, hinein ins Gold-Creme-Grau gehaltene Brahms-Foyer mit geschwungenen Bögen, Fischgrätparkett, hoher Decke und riesigen Sprossenfenstern.

Vor Corona haben die Symphoniker Hamburg – sie sind das Residenzorchester der ­Laeiszhalle, seitdem das NDR Symphonie-Orchester in die Elbphilharmonie übergesiedelt ist – die Lunchkonzerte, wie dieses Kammermusikformat heißt, regelmäßig veranstaltet. Eintritt frei, wer will, kann was spenden. Nun läuft die Reihe wieder an, soll bald alle ein bis zwei Monate stattfinden. Dieses Mal stehen Stücke von Saint-Saëns, Schumann, Debussy und Pasculli auf dem Programm. Die Instrumente: Oboe und Harfe.

Ganz schön viele Weißweingläser sind hier unterwegs für so einen Dienstagmittag

Im Brahms-Foyer warten nicht nur das Johannes-Brahms-Denkmal von Max Klinger, Büsten von Joseph Joachim, Clara Schumann, Julius Stockhausen und Hans von Bülow, eine Bar und die Harfe, sondern es wuseln viele Leute herum. Die Schlange an der Bar ist lang, die Ersten laufen mit gefüllten Suppentellern herum. Und ganz schön viele Weißweingläser sind hier unterwegs für so einen Dienstagmittag. Unter 50 ist augenscheinlich außer uns niemand. Viele tragen Turnschuhe in gedeckten Farben und bequeme Pullis.

Die Handtuch-auf-Liegen-Taktik

Sofort ist klar: Sitzplätze können wir uns abschminken. Die Leute sind hier reingestürmt und haben sich oder ihre Jacken und Mäntel auf Stühle und Bänke geschmissen. Die Handtuch-auf-Liegen-Taktik funktioniert nicht nur am Hotelpool. Wir ergattern einen Platz am Rand, können uns an der Wand anlehnen und hinter Brahms immerhin den Harfenkopf und den Oboisten sehen.

Hamburg verdankt diese wunderschöne Konzerthalle dem Reeder Carl Heinrich ­Laeisz. Der vermachte der Stadt einst 2 Millionen Mark, unter der Voraussetzung, dass damit eine Musikhalle gebaut werde. Als die Laeiszhalle am 4. Juni 1908 eröffnet wurde, galt sie als das größte und modernste Konzertgebäude Deutschlands. Noch heute ist es – innen wie außen – das schönste der Stadt, mindestens. Im Großen Saal sind 2.025 Sitzplätze, im Kleinen Saal gibt es 640 Sitze und im Brahms-Foyer haben sich heute 180 Leute eingefunden, mehr dürfen nicht rein.

„Es ist so heiß hier, wenn man von draußen reinkommt“, sagt der Oboist und muss nach wenigen Tönen erst mal absetzen. Er sieht etwas mitgenommen aus, zieht bald das schwarze Sakko aus und spielt im schwarzen Hemd weiter. Später wechselt er für das letzte Stück auf das Englischhorn, das sich für den Laien und aus der Ferne betrachtet nicht von der Oboe unterscheidet. Wäre er nicht in der Begrüßungsrede erwähnt worden, ich hätte den Instrumentenwechsel nicht bemerkt.

Hey Leute, was ist los?

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Das Mittagskonzert zieht einige Gelegenheitsklassikhörer an. Etwa die zwei Herren in schwarzen Hemden, die an einem der Stehtische lehnen und Weißwein trinken. Sie applaudieren während Camille Saint-Saëns Sonate D-Dur op. 166 in die Stille zwischen Andantino und Allegretto hinein und sehen sich etwas irritiert um, als wollten sie sagen: Hey Leute, was ist los? Der Saal fällt dann doch in schütteren Applaus.

45 Minuten später ist das Konzert vorbei und wir schlendern hinaus in den Tag. Nächstes Mal kommen wir noch früher, vielleicht bringen wir ein Reservierhandtuch mit.

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Jahrgang 1977, die Soziologin arbeitete fast 15 Jahre - meist als freie Autorin - für die taz nord sowie für den NDR in Hamburg als Nachrichtenredakteurin Online und Radio, ging dann kurz zum stern und war anschließend stellvertretende Ressortleiterin Lokales bei der Hamburger Morgenpost. Seit 2023 ist sie Redaktionsleiterin der taz nord.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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