Reform des Einbürgerungsrechts: Rohe Diskriminierung

Das neue Staatsbürgerschaftsrecht erleichtert die Einbürgerung, schließt aber nicht nur behinderte Menschen aus. Das dürfte verfassungswidrig sein.

Ein Mann ist mit seinem Rollstuhl über Kopfsteinpflaster unterwegs.

Das neue Staatsbürgerschaftsrecht benachteiligt Menschen mit Behinderung Foto: Winfried Rothermel/imago

Die Ampelkoalition erleichtert mit einer Gesetzesreform die Einbürgerung: In Zukunft ist es bereits nach fünf Jahren Aufenthalt möglich, den deutschen Pass zu bekommen; bisher waren es acht Jahre. Und es ist nicht mehr Voraussetzung, dass ein Mensch seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt, um die deutsche erhalten zu können. So positiv diese Veränderungen sind, so erschreckender sind jene Änderungen, mit denen etwas passiert, was wohl kaum eine Person mit dem Staatsbürgerschaftsrecht in Verbindung bringt: die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen.

Das bisherige Staatsbürgerschaftsgesetz sah vor, dass Menschen, die eingebürgert werden möchten, ihren Lebensunterhalt für sich und ihre unterhaltsberechtigten Familienangehörigen bestreiten können und dabei nicht auf Leistungen wie das Bürgergeld oder ähnliche Sozialleistungen angewiesen sind. War eine Person aber auf Sozialleistungen angewiesen und hatte „deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten“, führte dies nicht zum Ausschluss der Einbürgerung.

„Inanspruchnahme nicht zu vertreten“ heißt übersetzt: Man ist auf Sozialleistungen angewiesen, weil es wegen der Betreuung von Angehörigen nicht möglich ist, voll zu arbeiten. Das betrifft Alleinerziehende, die aufgrund der Betreuung ihrer Kinder nicht voll einer Erwerbstätigkeit nachgehen können, den verwitweten Vater, dessen Kind aufgrund einer ADHS-Erkrankung nicht den ganzen Tag in der Schule bleiben kann, oder pflegende Angehörige.

Es betrifft aber auch Menschen mit Behinderungen, die nicht einer lebensunterhaltssichernden Beschäftigung nachgehen können. Und es betrifft voll erwerbsfähige Menschen mit Behinderungen, die trotz intensiver Bemühungen, einen Arbeitsplatz zu finden, wegen ihrer Behinderung keine oder nur eine Teilzeitbeschäftigung finden und deshalb als sogenannte Auf­sto­cke­r*in­nen Bürgergeld beziehen. Noch immer sind schwerbehinderte Menschen von Arbeitslosigkeit länger und öfter betroffen.

Einbürgerung als Härtefall

Mit dem neuen Gesetz der Ampel wird es fortan anders sein. Die antragstellende Person muss ihren Lebensunterhalt und den ihrer unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Sozialleistungen bestreiten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sie den Bezug „zu vertreten hat“ oder nicht. Ausnahmen sind für jene vorgesehen, die aufgrund von Abkommen bis 1976 in die Bundesrepublik und bis 1990 in die DDR eingereist waren; außerdem für Vollzeiterwerbstätige, die in den vergangenen 24 Monaten mindestens 20 Monate erwerbstätig waren, und deren Familienangehörige.

Für alle anderen bleibt einzig und allein die Einbürgerung als Härtefall. Allerdings steht diese im Ermessen und ist auf „atypische“ Ausnahmen beschränkt. Wie kann es sein, dass Menschen ein fundamentales Recht, wie hier auf Dauer und in Sicherheit zu leben, genommen wird aufgrund ihrer körperlichen und gesundheitlichen Verfasstheit?

Stigmatisieren, Ausgrenzen und Diskriminieren von Menschen, die nicht einer vermeintlichen Norm entsprechen, gehört zu einem extrem rechten Gedankengebäude. Zu den ersten Opfern des Nationalsozialismus gehörten mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ Menschen mit Behinderungen. Wachsam zu sein, wenn Menschen aufgrund ihrer körperlichen oder gesundheitlichen Disposition Rechte verliehen oder wieder entzogen bekommen, ist eine der Lehren aus der Geschichte.

Was ist mit dem Gleichheitsgrundsatz?

Das geschriebene Recht, das uns im Nachkriegsdeutschland in grausiger Erinnerung an den Nationalsozialismus gegeben wurde, ist eine gute Orientierung. Einer der Grundpfeiler ist der allgemeine Gleichheitssatz in Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes und das Verbot der Diskriminierung aufgrund der dort aufgeführten Merkmale in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes. Dort heißt es sogar ausdrücklich, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Mit der neuen Regelung findet eine solche Diskriminierung mittelbar statt.

Auch in demokratietheoretischer Perspektive erscheint es äußerst problematisch, Zugang zu Wahlen von einem Kriterium wie dem der Lebensunterhaltssicherung abhängig zu machen und bestimmten Bevölkerungsgruppen damit diesen zu verwehren. Der Ausschluss von Menschen mit Behinderungen von der Einbürgerung, weil sie Sozialleistungen beziehen, dürfte im Widerspruch zum Diskriminierungsverbot wegen einer Behinderung der UN-Behindertenrechtskonvention stehen.

Nach dieser ist ein Mitgliedsstaat verpflichtet, nicht nur die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu achten, zu gewährleisten und zu schützen, sondern auch gemäß Artikel 29 sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können. Das umfasst auch das Recht und die Möglichkeit zu wählen und gewählt zu werden – und hierfür ist eben eine Einbürgerung erforderlich.

Die Diskriminierung wird insbesondere mit Blick darauf, dass hier dauerhaft und längerfristig ein Ausschluss demokratischer Teilhabe stattfindet, deutlich: bei den Ehegatten der Gastarbeiter*innen, die zu alt sind, um noch ihren Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften, bei den Menschen, die minderjährige Familienangehörige pflegen, bei Alleinerziehenden, die in Teilzeit arbeiten, bei Eltern, die sich die Betreuung ihrer Kinder aufteilen und beide in Teilzeit arbeiten, bei Rentner*innen, die aufstockend Grundsicherung beziehen, und eben bei Menschen mit Behinderungen, die Sozialleistungen erhalten.

Es bleibt zu hoffen, dass die Regelung einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhält und letztlich das Bundesverfassungsgericht dieser rohen Diskriminierung von Bevölkerungsgruppen ein Ende bereiten wird.

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ist Autorin unserer neuen Rubrik „law and order“ und wird sich auf diesem Platz regel­mäßig mit juristischen und rechts­politischen Debatten beschäftigen. Sie ist promovierte Rechtsanwältin in Berlin und arbeitet derzeit schwerpunktmäßig in der Opferberatung zu sexualisierter Gewalt. Herzlich willkommen, Franziska Drohsel!

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