Sozialbauten am Hafenplatz in Kreuzberg: Mieter*innen fürchten Verdrängung
Die Gebäude mit fast 400 Wohnungen sollen einem „lebendigen Innenstadtquartier“ weichen. Die Bewohner*innen wehren sich gegen den Abriss.
Man sollte meinen, dass in Zeiten, in denen es in Berlin immer weniger bezahlbaren Wohnraum gibt, Sozialbauten wie die am Hafenplatz unter Bestandsschutz gestellt werden. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Mieter*innen fürchten die Verdrängung.
Der Berliner Mieterverein spricht von „Monopoly mit Pausen“: Seit sieben Jahren müssten die Bewohner*innen des Gebäudekomplexes um ihre Wohnungen bangen. Viele von ihnen haben nur befristete Mietverträge. Zudem muss sich die Bewohnerschaft des Hauses Hafenplatz 6-7/Köthener Straße 28-32 mit Missständen wie Schimmel und monatelang defekten Aufzügen herumschlagen.
Nach jahrelangem Leerstand sind rund 400 Geflüchtete aus der Ukraine in den ehemaligen Studierendentrakt eingezogen. Ein anderer Gebäudeteil wurde befristet an Studierende vermietet. Manche von ihnen engagieren sich in einer Mieter*inneninitiative. Zunächst ging es um Unklarheiten bei der Betriebskostenabrechnung. „Einige Bewohner*innen sollten bis zu 1.000 Euro nachzahlen“, so ein Betroffener. Der Mieterverein hat in einer Prüfung exorbitant hohe Kosten, nicht nachvollziehbare Angaben und eine unzulässige Umlage von Verwaltungsaufwendungen festgestellt.
Befürchtungen bewahrheiten sich
Der Verein zeigt sich empört über die Situation am Hafenplatz: „Warum lässt der Eigentümer das Filetgrundstück weiter verwahrlosen? Warum geht es nicht voran mit der Entwicklung eines ‚vitalen, gemischten Quartiers‘, wie es die Grundstückgesellschaft Hafenplatz Berlin mbH kurz nach dem Ankauf der Immobilie 2016 ankündigte?“ Diese Frage stellten sich die Mieter*innen seit Monaten.
Nun haben sich ihre Befürchtungen bestätigt. Die Sozialbauten aus den 1970ern sollen abgerissen werden und durch Neubauten mit mehr Wohnraum, aber auch wohl teurem Gewerbe ersetzt werden. Dann könnte es rund um den Hafenplatz bald so aussehen wie am Potsdamer Platz gleich nebenan.
Mieter*innen fordern Gutachten
Dass im Neubau auch 274 geförderte Wohnungen entstehen sollen, beruhigt die Mieter*inneninitiative am Hafenplatz nicht: „Damit kann der Wegfall von rund 380 günstigen Wohnungen nicht aufgefangen werden. Hier soll massenhaft bezahlbarer Wohnraum mitten in Berlin vernichtet werden“ sagt Klaus von der Initiative.
Die Mieter*innen sehen auch den Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (Grüne), in der Pflicht. In einem Schreiben fordern sie den Bezirk auf, mit einem eigenen Gutachten die Notwendigkeit und mögliche Folgen eines Abrisses überprüfen. So oder so wollen sie ihren Protest fortsetzen und hoffen auf Unterstützung aus der Berliner Mietenbewegung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Ost-Preise nur für Wessis
Nur zu Besuch