Machtkampf in Brüssel

EU-Abgeordnete wollen wegen Geldern für Ungarn eine Klage gegen die Kommission vorbereiten

Aus Brüssel Eric Bonse

Im Streit um die Freigabe von EU-Geldern an Ungarn tobt ein Machtkampf zwischen dem EU-Parlament und der EU-Kommission. Wie angedroht, haben die Abgeordneten am Donnerstag mit großer Mehrheit beschlossen, eine Klage gegen die Kommission vorzubereiten – eine Reaktion auf die Entscheidung, 10,2 Milliarden Euro für Ungarn freizugeben.

Behördenchefin Ursula von der Leyen gerät fünf Monate vor der Europawahl unter erheblichen Druck. Auch für Ungarns Premier Viktor Orbán wird es ungemütlich. In einem weiteren Antrag forderten die Abgeordneten, Ungarns Regierung das Stimmrecht im Rat der EU zu entziehen. Ungarn will am 1. Juli den Ratsvorsitz übernehmen.

Das sei „die einzige konsequente Antwort“, um Orbáns „ewige Erpressungsversuche zu unterbinden“, sagte die Parlamentsvizepräsidentin Katarina Barley (SPD). Ähnlich äußerte sich Monika Hohlmeier (CSU). Solange Gerichtsurteile in Ungarn „über Nacht per Dekret abgeändert“ werden könnten, gebe es „schwerwiegende“ Bedenken an der Rechtsstaatlichkeit. Deswegen will das Parlament vor dem Europäischen Gerichtshof klagen.

Die Liberalen gehen noch weiter: Sie drohen mit einem Misstrauensvotum gegen die EU-Kommission. Dies zielt direkt auf von der Leyen. Einige liberale Abgeordnete wollen ihr sogar eine zweite Amtszeit streitig machen. Die konservative EVP will von der Leyen schonen – sie soll im März zur Spitzenkandidatin gekürt werden. Die größte Parlamentsfraktion, zu der auch CDU/CSU gehören, will vor allem Druck auf Deutschland und Frankreich machen, um Ungarn das Stimmrecht zu entziehen.

Grüne, Linke und Sozialdemokraten wiederum geht es in erster Linie um den Rechtsstaat. Allerdings verwickeln sie sich in Widersprüche. Gegen die Auszahlung von EU-Geldern an Polen haben sie keine Bedenken – obwohl der Rechtsstaat nach acht Jahren autoritärer PiS-Herrschaft längst nicht wiederhergestellt ist. Von Nationalisten und Rechtspopulisten kommt daher der Vorwurf, die proeuropäische Mehrheit im Parlament wolle Orbán abstrafen.

Wie weiter? Zunächst muss sich der Rechtsausschuss des Parlaments mit dem Fall befassen und den Europäischen Gerichtshof einschalten. Ob es zu einer Klage kommt oder nur zu einer rechtlichen Prüfung, ist offen. Eine Prüfung könnte schnell erfolgen, eine Klage könnte Jahre in Anspruch nehmen. Sollte die Sache negativ für die EU-Kommission enden, wäre die Freigabe von „eingefrorenen“ EU-Mitteln erschwert. Aber auch so dürfte die Initiative dazu führen, dass Ungarn so schnell kein Geld aus Brüssel mehr erhält. Das ist das Hauptziel. Von der Leyen soll gehindert werden, sich erneut „erpressen“ zu lassen, wie es der grüne EU-Abgeordnete Daniel Freund formuliert.