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Nachruf auf Bildhauer Carl AndreDas war radikal

Der Erneuerer der Bildhauerei und Vertreter des Minimalismus, Carl Andre, ist gestorben. Nach dem Tod seiner Frau kam es zu Boykottaufrufen gegen ihn.

Der amerikanische Künstler und Bildhauer Carl Andre, abgebildet in der Whitechapel Gallery in London am 15. März 1978 Foto: Evening Standard/getty iFmages

Er war ein bedeutender Vertreter der US-amerikanischen Minimal Art. Und er vertrat diese Kunst auf besonders spröde Weise. Carl Andre, der 1935 geboren wurde und in der US-Industriestadt Quincy zunächst als Bremser bei der Eisenbahn arbeitete, verwandte rohe Backsteine, Metallplatten oder Holzbalken. Er platzierte sie auf den Boden.

Als er 1967 in der Düsseldorfer Galerie Konrad Fischer seine erste Ausstellung außerhalb der USA hatte, zwang er das Publikum, über quadratische Metallplatten zu laufen, seine Kunst quasi mit Füßen zu treten. Das war radikal. Und in Europa, wo zeitgleich die Künst­le­r:in­nen der Arte Povera in Italien oder der Gruppe Zero in Deutschland ebenfalls Sockel und Bilderrahmen, Dichtung und Erzählung zugunsten einfacher Formfindungen ablegten, kam Carl Andre gut an.

Er war auch dabei, als 1969 der Schweizer Kurator Harald Szeemann die bis heute legendäre Ausstellung „When Attitudes Become Form“ in der Berner Kunsthalle ausrichtete. Die Schau ebnete für den Minimalismus den Weg in die Museen weltweit. Und Carl Andre, der so konsequent bis heute seine puristische Kunst weiterverfolgte, gehört ins Museum.

Doch seine Figur ist belastet. 1985 kam seine damalige Ehefrau ums Leben. Die kubanische Künstlerin Ana Mendieta stand am Anfang einer internationalen Karriere, als sie tödlich aus einem Fenster der gemeinsamen New Yorker Wohnung fiel. Carl Andre wurde des Mordes angeklagt und 1988 freigesprochen. Doch trug er nicht dazu bei, zu klären, was wirklich geschehen war.

Aufrufe zum Boykott

Teile des US-Kunstpublikums bezichtigten ihn des Femizids, riefen zum Boykott seiner Ausstellungen auf. Erst 2014 konnte ihm eine große Retrospektive in den USA ausgerichtet werden. In Europa hingegen gab es schon 1996 im Kunstmuseum Wolfsburg wieder eine große Andre-Schau.

Eher leise waren auch die Proteste in Berlin, als dort 2016 eine Retrospektive des Künstlers zu sehen war. Doch die Wut gegen Carl Andre, sie beruft sich auch auf andere Gründe. Für viele steht er nämlich dafür, wie wenig sichtbar Frauen im Kunstbetrieb sind, insbesondere in der Minimal Art. Carl Andre ist am 24. Januar im Alter von 88 Jahren in New York gestorben. Er wird als Erneuerer der Bildhauerei in die Kunstgeschichte eingehen und als einer, an dem die geschlechtliche Ungleichheit des Kunstbetrieb tragisch zutage tritt.

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1 Kommentar

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  • "Für viele steht er nämlich dafür, wie wenig sichtbar Frauen im Kunstbetrieb sind, insbesondere in der Minimal Art."



    Was meinen diese 'Vielen' denn?



    Dass er Frauen nicht sichtbar werden ließ, schlicht weil er als Mann berühmt wurde?



    Das träfe dann ja auf fast alle bekannt gebliebenen Namen der bildenden Kunst der 60er Jahre zu.



    Aber wenn man meint, dass speziell Carl Andre Frauen nicht sichtbar werden lässt, dann scheinen "die anderen Gründe" auf die sich "die Wut gegen Carl Andre" beruft, doch wieder nur diese eine Idee zu sein: Dass er seine Frau umgebracht habe, damit sie als Künstlerin nicht bekannt werden und wiederum ihm im Weg stehen könnte.



    Sollte es weitere Hinweise darauf geben, dass Andre Frauen aus der Kunst verdrängt habe, sollten die genannt werden - ansonsten wäre es schön, solches Geraune zu lassen.